Die Kunst des Kärcherns
- The Machine
- 27. März 2021
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Sept. 2022
Ein Samstag. Irgendwas hatte mich entgegen aller Wahrscheinlichkeiten dazu gebracht, meiner Mutter im Garten zu helfen. In dem Wissen, dass es vermutlich schlimmer wäre, wenn mein Vater ihr helfen würde, tanzte ich etwa um Mittagszeit bei ihr an. An dieser Stelle möchte ich kurz festhalten, dass ich nach meinem Auszug deutlich mehr Hausarbeiten in meinem Elternhaus zu verrichten habe, als vorher.
Als ich zu Beginn fragte, welche Arbeiten anstehen würden, präsentierte mir meine Mutter eine Bandbreite von verschiedenstem Grünzeug, alles in mehrere Lagen Plastik eingepackt, die es einzupflanzen galt. Der Sinn der Plastikverpackungen erschloss sich mir nicht, das Gemüse wächst ja auch in freier Natur ohne Verpackung.
Außerdem müsste man eine Hang mit Steinen stabilisieren, Blumenerde verteilen, gewisse Stellen umgraben, und, und, und! Dann kam mein Stichwort: Die Mauer müsste gekärchert werden. Es gab im Umkreis von 100 Kilometern niemanden, der sich besser mit Hochdruckreinigern auskannte als ich. Wenn ich mir wirklich Mühe gab, konnte ich damit meiner Katze sogar das Fliegen beibringen.
Der Kärcher, dem ich mich widmen sollte, war sogar brandneu und noch in seinem Karton. Ich probierte Messer, Scheren, Fingernägel, Hammer & Meißel, Kettensäge, Schweißbrenner und ein paar Sorten Sprengstoff, bis ich diese vermaledeite Pappschachtel endlich geöffnet bekam. Da hatte wirklich jemand guten Einsatz von Panzerband gemacht.
Ich breitete alle im Lieferumfang enthaltenen Gegenstände in der Einfahrt aus, um mir einen Überblick zu verschaffen, dann warf ich die Betriebsanleitung weg, wie es die Etikette verlangte, ohne einen Blick hinein zu werfen.
Da war zunächst einmal das Hauptgerät: ein etwa 100kg schwerer Kasten, in dem Verbrennungsmotor und Druckpumpe untergebracht waren. Dann ein 50-Meter Feuerwehrschlauch der Größe C, sowie ein gleichlanges Starkstromkabel. Daneben lag ein Einfüllstutzen, den man zur Befüllung des Kärchers mit Diesel-Kraftstoff benutzen sollte. Warum braucht ein Hochdruckreiniger gleich einen Starkstromanschluss und einen Verbrennungsmotor?
Weiter links lag ein Holster für die Druckpistole, sowie Aufsätze verschiedenster Arten: Scharfschützenlauf mit Zielfernrohr, Streulauf für den Nahkampf, vollautomatischer Sechsfach-Gatling-Lauf mit Präzisionslaser sowie ein Duschkopf für die Selbstreinigung nach der Gartenarbeit.
Ich montierte alles, setzte den vollautomatischen Lauf auf die Pistole, entsicherte das Magazin und war bereit. Ich fühlte mich stolz, die Macht des Universums (oder zumindest einen Teil davon) in meinen Händen. Der Wasserwerfer des Mittelständlers, dachte ich mir, als der Motor erstmals aufheulte, nachdem ich die Zündkurbel betätigt hatte.
Mancherorts brauchte man für dieses Modell einen Waffenschein, im Saarland reichte glücklicherweise ein Führerschein der Klasse T.
Ich stellte mich mit finsterer Miene der rötlich verschmutzten, einst weißen Mauer gegenüber, die ich nun säubern wollte. Das Gerät in meiner Hand würde nicht nur restlos sämtliche Verschmutzung von der Oberfläche entfernen, sondern hatte so viel Power unter der Haube, dass sich kein Schmutz je wieder trauen würde, sich auf dieser Mauer niederzulassen. Ich klappte mein Schutzvisier herunter und drückte den Abzug – doch es passierte nichts.
Zumindest nicht das, mit dem ich gerechnet hatte: Nichts weiter als ein feucht-warmer Mittelstrahl verließ die Mündungsbremse des Pistolenlaufes. Mein fachmännisches Verständnis erkannte sofort das Problem: Der Kärcher war auf Kindersicherung gestellt. Ich drehte den Regler über „Blumen gießen“, „Buntwäsche“, „Autoreinigung“ dann „Linseneintopf-Unfall“ und „Seit 3 Wochen ungeduscht“ zu „Massenaufstandsbekämpfung“ - Mit anderen Worten: Maximale Leistung. Damit könnte ich die Bundeswehr im Alleingang plätten. Ein panzerbrechender Wasserstrahl.
Feuer frei! Ich brauchte nur einmal die Mauer abzufahren, dann strahlte sie schon blitzeblank, auch wenn ich zugeben muss, dass ich ein paar Probleme damit hatte, den Rückstoß unter Kontrolle zu behalten. Eine kurze audiovisuelle Begutachtung der Mauer verriet mir, dass es noch winzige, gar mikroskopische Verunreinigungen auf der Oberfläche gab. Auf ein Neues, aber diesmal mit dem Scharfschützenlauf, denn ein .50er-Kaliber würde auch mit diesem Schmutz fertig.
Ich legte mich am anderen Ende der Einfahrt auf den Boden und überprüfte noch einmal die Windrichtung, indem ich einen Probeschuss auf meine Katze abfeuerte, die auf den Randsteinen der Gartenumzäunung saß und sich die Pfoten leckte. Der Ablenkung des Wasserstrahls und der Flugbahn meiner Katze nach zu Urteilen, kam der Wind mit einer Geschwindigkeit 6 Knoten aus Süd-Südost. Ich korrigierte also meinen Zielwinkel und feuerte eine ganze Salve auf die Mauer.
Als ich meine Augen wieder öffnete, war ich endlich zufrieden mit dem Resultat, jedoch kam mir die Mauer etwa einen halben Meter tiefer vor, als zuvor. Meine Mutter meinte außerdem, dass einige der Mauersteine vorher tatsächlich mal schwarz waren. Ich wollte ja mit einem neunmalklugen Spruch antworten, wie sehr das mein Talent mit dem Kärcher bewies, allerdings wurde ich von einem halben Mauerstein abgehalten, der direkt neben mir in die Einfahrt einschlug. Hätte ich den kommen sehen, hätte ich den Hochdruckreiniger auf den FlaK-Modus gestellt.
Ich war völlig erschöpft von der ersten Reinigungsetappe, also entschloss ich mich, eine Pause einzulegen. Ich machte mir eine Tasse Kaffee, die genauso viel Pfiff hatte, wie mein Kärcher. Dann fütterte ich meine splitterfasernackte und völlig entblößte Katze. Seltsam, bevor ich sie das zweite mal gekärchert hatte, um ihr bei der Fellpflege zu helfen, war sie noch mit Fell bedeckt gewesen.
Den Rest der Pause verbrachte ich damit, meiner Mutter dabei zuzusehen, wie sie die kleinen grünen Pflänzchen aus ihren Kunststoff-Gefängnissen entnahm und in die Erde pflanzte. Ich fragte mich, ob meine Mutter irgendwann auch merkte, dass man die kleinen Plastikbecher vor dem Einbuddeln der Pflanze auch entfernen musste. Außerdem wäre das Graben mit einer Gartenschaufel wesentlich effizienter, als mit einer Kindergabel, aber was weiß ich schon von Gartenarbeit.
Die ganze Terrasse war mittlerweile mit Plastikmüll bedeckt, ein unschöner Anblick. Als ich meine Mutter darauf hinwies, erwiderte sie sofort, sie bräuchte erst mal einen gelben Sack.
„Dann musst du einen holen gehen“, empfahl ich ihr und entfernte mich wieder in Richtung Einfahrt, ich hatte noch Dinge zu kärchern.
Ich fuhr den Kärcher an den herabgeregneten Mauersteinen vorbei (eigenartiges Wetter an dem Tag) zur Haustür. Die Treppe zur Haustür war aus denselben Steinen gezimmert, wie die bereits gesäuberte Mauer, nur wesentlich schlimmer verschmutzt. Ich versicherte mich noch einmal, dass die Haustür geschlossen war, bevor ich loslegte, aber ich rechnete nicht damit, dass andere Familienmitglieder dazu in der Lage waren, die Tür wieder zu öffnen.
Wie es das Schicksal also leider so wollte, wurde mein im Türrahmen erscheinender Vater von einem Kaliber .50 Wasserstrahl quer durch den Hausflur geschleudert, den abgerissenen Türgriff in der Hand, bis er unsanft in die Hinterwand einschlug. Vorteil der Sache: Der Flur war auch schon sauber, Nachteil der Sache: Es dauerte bis zum Abend, bis wir meinen Vater endlich wieder von der Wand abgekratzt hatten.
Ich ließ mich zum Zeitpunkt des Geschehens aber nicht von meiner Aufgabe abbringen. Ich verschloss die Tür wieder, denn ohne Türgriff konnte man sie schließlich nicht wieder öffnen. Am darauffolgenden Tage sollte ein Artikel in der Zeitung erscheinen, dass eine sintflutartige Welle eine Steintreppe durch den Ortskern gespült hatte. Ich äußere mich nicht zum Wahrheitsgehalt dieses Artikels.
Ich überlegte mir, welche Örtlichkeiten auf diesem Grundstück einer weiteren Reinigung bedurften. Bevor ich die Überlegung aber abschließen konnte, meinte meine Mutter, ich solle ihr dabei helfen, den von Blumenerde-Resten bedeckten, steinernen Gartenpfad zu kehren. Kehren? Kärchern!
Ohne auch nur ein einzelnes Widerwort von meiner Mutter zuzulassen, trieb ich den Kärcher auf 5000-Touren hoch und feuerte ein ganzes Magazin Streuschüsse. Sämtliche Erde (und Pflastersteine, Pflanzen und Gartenwerkzeuge) lagen nun fein säuberlich und alphabetisch sortiert auf einem Haufen in der Ecke des Grundstückes – und waren sauber.
Ein Blick an mir herab verriet mir allerdings, dass ich durch den Reinigungsvorgang selbst mit einer Schicht aus braun-grünem Schmodder bedeckt war. Ich richtete einen fragenden Blick an meine Mutter.
„Du kannst doch sonst alles mit einem Kärcher“, sagte sie schnippisch. Offenbar wusste sie nicht, dass ich den direkten, selbstinduzierten Beschuss durch einen Hochdruckreiniger mit dieser Konfiguration auf eine Entfernung von weniger als 25m nicht ohne bleibende und vor allem schwerwiegende Verletzungen überleben würde. Aber für solche Fälle gab es ja den Duschkopf-Aufsatz.
Das Resumée meiner heutigen Heldentaten:
Ich habe nicht nur die Mauer wieder in einem strahlenden weiß glänzen lassen, sodass man unsere Straße selbst nachts nur noch mit Sonnenbrille durchqueren konnte, sondern ich habe die Überreste jener Mauer mithilfe des Hochdruckreinigers auch noch ästhetisch ansprechend neu angeordnet.
Unsere Haustür hat nun nicht nur einen zeitgemäßen, neuen Edelstahlgriff, der mit dem Holz gammaverschweißt wurde, sondern verfügt nun auch über eine behindertengerechte Rollstuhlrampe.
Die äußeren Hauswände wurden auf ihre notwendigen, tragenden Elemente reduziert, sodass die Immobilie nun mit ihren Inneren Werten punkten konnte.
Meine Katze schwitzte in ihrem neuen, modische rosa-grauen Sommeroutfit nicht mehr so sehr.
Meine Mutter hatte all ihren Gartenkram kompakt sortiert an einem Ort in ihrem Garten – der Grund warum sie diese ganze Arbeit erst angefangen hatte.
Mein Vater konnte den neuen Kärcher nun endlich zum Trimmen der Hecken benutzen, was sich wesentlich müheloser gestalten würde, als das ewige Auf und Ab mit der Heckenschere.
Zufrieden mit meinem Dienst an Familie und Menschheit steckte ich die Druckpistole wieder in das Holster an meinem Gürtel und köpfte mir eine Flasche Urpils.
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