Die Weihnachtsverschwörung
- The Machine

- 20. Juli
- 39 Min. Lesezeit
Okay gut, erwischt. Ein zweites Weihnachtsspecial. Ich versichere, das hat weder was mit Marketing zur besten Zeit des Jahres zu tun, noch hat sich mein Herz erweicht und nach Zimt riechendes, pisswarmes Weihnachtswundergefühl reingelassen.
Der Grinch sitzt heulend in der Ecke wünscht sich, er hätte so viel Disziplin an den Tag gelegt wie ich. Der arme Kerl muss jetzt jedes Jahr aufs Neue Weihnachtslieder singen, Glühwein kippen und „Frohe Weihnachten“ sagen bis zum Umfallen. Der kotzt im Strahl, ich sage es euch. Kein Wunder, dass der so grün ist.
Will ich mich jetzt wirklich schon wieder über Weihnachten auskotzen? Nein, nein keineswegs. Das hab ich schon gemacht und ich bin nicht wie Disney und verkaufe euch denselben Mist in der Mikrowelle aufgewärmt noch einmal. Wir wissen alle, dass es nicht mehr ganz so gut schmeckt wie frisch gekocht, wenn man etwas mikrowellisiert. Außer bei meiner Mutter, da schmeckt alles grundsätzlich wie aus der Mikrowelle. Also wenn es warm wäre. Außerdem verdiene ich an dem Mist hier nichts. Ich mache das aus reiner Herzensgüte.
Ich werde jetzt einen Satz sagen, mit dem alle Weihnachtsgeschichten anfangen: Lasst mich euch eine Geschichte erzählen, die ihr mir nicht glauben werdet. Glaube, das ist das Stichwort. In meiner Wahrnehmung ist das nichts weiter als ein zusammenfassender Begriff für „Angst, sich der Realität zu stellen und sich deshalb etwas zurecht denken, das die kalte Wahrheit verschleiert und angenehmer macht, sodass man sich ihr nicht stellen muss und eine mysteriöse übergeordnete Kraft einem die Verantwortung fürs Leben abnimmt“. Mir wird gerade wieder bewusst, warum ich so wenige Freunde habe.
Was für viele Weihnachtsfetischisten zur ordentlichen Weihnachtsstimmung dazu gehört ist Nachdenklichkeit. Dass die meisten den Begriff falsch verstehen und eigentlich ganzjährig anwenden könnten, das lässt sich aus dem anderen Weihnachtsspecial ableiten. Darum soll’s nicht gehen. Nur seid ihr im Kontext Weihnachten vielleicht eher dazu bereit euch Zeit zum Nachdenken zunehmen. Hinterher könnt ihr von mir aus auch alles mit Glühwein oder heißer Listerine wieder wegspülen, wie ihr wollt.
Also, ich verspreche euch was nachdenkliches zum Thema Glaube. Also nicht nur nachdenklich, das ist wie immer so ein bisschen reingestreut. Hauptsächlich ist es absolut dämlicher Scheiß, der einfach aus meinem Hirn rauswollte. Nach der gefühlt längsten Einleitung der Erdgeschichte: Viel Spaß beim Lesen von
Die Weihnachtsverschwörung
Es war der 23. Dezember 2024. Meine chronische Weihnachtsunlust hatte bereits das Maximalniveau des Vorjahres überschritten und war weiterhin stark im Steigflug. Die Abwärtskrümmung meiner Mundwinkel hatte bereits einen mathematisch nicht mehr erfassbaren Grad erreicht und stellte damit ebenfalls eine Verschlechterung zum Vorjahr dar. Meine Weihnachtsstatistik war also dieses Jahr schon frühzeitig ruiniert. Auch gut, Arbeit gespart.
Ich stand um 23:30 Uhr barfuß auf meinem schneebedeckten Balkon und erfreute mich an meinem liebreizenden Hass für alles Lebendige. Die Nacht war sehr schön. Es fiel Schnee und die Kälte ließ mich ruhig werden.
Plötzlich donnerte es im Himmel, es klang nach einem Überschallknall. Das Donnern wurde lauter und lauter, es hörte nicht auf. Plötzlich begann alles um mich herum zu vibrieren und zu beben. Eine Menge Schnee löste sich vom Dach und rutschte auf mich hernieder, sodass nur noch mein Kopf aus dem Hügel Schnee heraus schaute.
Im nächsten Moment schoss etwas rotes direkt über mir vorbei. Es gab eine unfassbare Windböe und dann eine kurze, stramme Hitzewelle wie der Rückstoß von Jettriebwerken, die all den Schnee um mich instantan zum Schmelzen brachte. Ich stand also bei -7° C patschnass auf dem Balkon. Super.
Als meine Sinne aufklarten, blickte ich hinab in den Garten meiner neuen Nachbarin unten. Der ganze Schnee und mehrere Kubikmeter Erde waren deplatziert, von den ganzen armen Pflänzchen ganz zu schweigen. Hinten vor der Mauer stand ein seltsames Gefährt. Es sah in etwa aus wie die Formel-1-Version eines Pferdeschlittens: Recht flach und aerodynamisch geformt, in weiß-roter Farbe, zwei röhrenartige Anbauten, wohl die Triebwerke, nicht zu vergessen die unzähligen Sponsorensticker von Santander, Shell, Vodafone und Marlboro, die über die Karosserie verteilt waren. Ich war mir sicher, im nächsten Moment stiege Michael Schumacher mit Hirschgeweih aus.
Apropos Hirschgeweih. Ich richtete meinen Blick auf die andere Seite des Gartens. Ich weiß nicht, wie ich es besser beschreiben sollte, also… Da waren in ihrem Geschirr verhedderte Roboterhirsche, eine ganze Gruppe davon. Dann ging das Verdeck des roten Turboschlittens auf und ein Mann im Ferrari-Formel-1-Overall (oder etwas Ähnlichem) stieg aus.
Ich kreuzte die Finger und sagte leise zu mir selbst „Bitte sei Schumi, bitte sei Schumi.“ Der Typ klappte das Visier seines Rennfahrerhelmes hoch und starrte mich entsetzt an. Es waren nicht Schumis Augen, die mich anstarrten. Alles, was der rote Baron dann noch tat, war mir mit einer respektablen Lautstärke das Fluchwort „Scheiße!“ entgegen zu rufen.
AKT I – Santander Klaus
Jap. Das ist das, was ich gesehen habe. Ich bin mir der Absurdität der Situation bewusst. Ich weiß immer noch nicht, ob ich das so glauben soll, wie ich es in Erinnerung habe. Stichwort Glaube. In jenem Moment habe ich die Situation dann aber erst mal so angenommen, wie sie sich mir darbot. Also behandelte ich das, was sich im Garten abgespielt hatte, so, als wäre gerade wirklich ein Rennwagen in vom Himmel abgestürzt.
Ich tauschte die nasse Kleidung gegen trockene und begab mich eine Etage nach unten. Meine neue Nachbarin war über Weihnachten zur Familie verreist und hatte mir den Schlüssel für ihre Wohnung gegeben, also musste ich nicht durch den Keller nach draußen. Als ich ca. zwei Minuten nach dem Absturz dann endlich unten in den Garten kam, hatte Santa(nder) Clause seine Roboelche bereits aus ihrem Geschirr entwirrt.
Die Viecher lebten wirklich! Mit ihren lila leuchtenden Augen, den Metallplatten in ihrer Haut, dem Dieselgeruch und den Funkantennen als Geweih. Selbst ihr Atem gefror, wenn sie schnaubten. Eins davon knabberte gerade an den seltenen und zierlichen Pflanzen meiner Nachbarin, die sie extra in solche Plastiktüten für den Winter verpackt hatte. Der Typ im roten Anzug hatte seinen Helm im Schnee abgelegt und schraubte an seinem winterlichen Gefährt.
„Sind Sie der Typ, den ich bestellt hab, um nach meinem Internet zu schauen?“, fragte ich. Der Mann stoppte seine Arbeit und drehte sich endlich zu mir, sodass ich sein bildhübsches Gesicht sehen konnte.
„Ich bin der Weihnachtsmann. Und du anscheinend der Blödmann, wenn du das nicht erkennst“, rief er mir entgegen, „Wie kommst du auf so nen Scheiß?“
„Da steht Vodafone auf Ihrem Wagen“, antwortete ich und zeigte auf das abgestürzte Fluggefährt, „Zugegeben, es könnte auch sein, dass Sie Finanzierungsverträge bewerben, Heizöl liefern oder Zigarettenautomaten wiederauffüllen.“
„Das ist nur Deko“, sagte der Rote trocken, „Bin Schumi-Fan.“
Einleuchtend. Also seine letzte Aussage, nicht dass er der Weihnachtsmann sei. Er entsprach nicht ganz der klassischen Beschreibung, aber mit etwas modernisierter Phantasie konnte das durchaus hinkommen. Vor allem weil sämtliche modernen Kreationen aus Funk und Fernsehen immer die Tendenz haben, alles zu vulgarisieren und zu brutalisieren. Das Gesicht und der Körperbau von Ryan Reynolds hätten jetzt aber auch nicht sein müssen (er hatte nicht mal einen weißen Bart). Ja, schon klar, female Fan Service, aber trotzdem.
Ich weiß nicht ob‘s daran lag, dass er so weit vom Klischeeweihnachtsmann abwich, aber ich wollte ihm fürs Erste glauben. Ja, glauben. Denn so könnte ich sein Vertrauen gewinnen und er würde mir vielleicht mehr erzählen. Außerdem stand ich immer noch wie ein Depp mit den Starthilfekabeln in den Händen da, die ich aus dem Keller geholt hatte.
Der mehrfache sexiest Santa alive nahm sich eine Dose Pepsi Cola aus dem Handschuhfach seines Schlittens und trank sie restlos in einem Zug aus. Er warf die leere Dose in den Nachbarsgarten und rülpste laut. Ich fragte ihn endlich, ob ich ihm was helfen sollte. Seine Antwort war eine Gegenfrage. Nämlich ob ich ein Nuklearingenieur oder Doktor der Quantenphysik wäre. „Nur ehrenhalber“, sagte ich cool, „Wo liegt denn das Problem?“
Der Weihnachts-Ryan-Reynolds seufzte lautstark: „Ich nehme an, dass du noch nie an einem Ferrari R9 Turbosledge gearbeitet hast?“
„Ein 9er Reihenmotor?“, versuchte ich Fachwissen vorzutäuschen.
„Nein, ein 9er Rentiermotor“, korrigierte mich der Weihnachtsdeadpool und deutete auf das robotische Rotwild, „Die da sind meine Boxencrew. Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner, Blitzen und-“
„Rudolph“, unterbrach ich ihn. Ich hatte nicht viel Weihnachtsfachwissen, aber das wusste ich.
„Werner, sein Name ist Werner“, stellte der Santandermann mit genervtem Unterton klar. Das Rentier, das gerade den exotischen Busch beknabberte, hob einen seiner Hufe und salutierte mir symbolisch. „Was geht, Alter?“, rief es mir zu. Ich blinzelte zwei Mal ungläubig. Ja, ungläubig.
Es folgte ein freier Vortrag vom Ritter in Rot zum Thema Cyberrentiere. Sie seien kybernetisch verbessert worden, um den winterlichen Witterungsverhältnissen besser standzuhalten und weil sie dadurch den G-Kräften beim Manövrieren besser standhalten könnten. Früher wäre es sehr oft blutig zugegangen, als man noch biologische Rentiere benutzt hatte, hohe Unfallquote. Jedes Weihnachten zwei bis drei Verluste, da hatte die Rehwerkschaft irgendwann nicht mehr mitgespielt. Aber dank Kybernetik sei jetzt alles sicherer.
Die 5G-weihe der Cyberrentiere würden weltweite Echtzeitkommunikation sicherstellen, unabhängig von der Flughöhe. Außerdem wären die Tiere mit radarabschirmenden Panzerplatten für den Durchflug des Nahen Ostens und den USA ausgestattet. Statt großen Triebwerken hätten die Tiere in diesem Jahr erstmals vier Repulsorhufe, also die Dinger wie bei Iron Man. Dazu die beiden Haupttriebwerke des Schlittens.
Durch das Geschirr würde der Treibstoff im Haupttank des Schlittens zu den Rentierdüsen geleitet und so könnte er gesamte Schlittenzug auf mehr als 40 Raumachsen gleichzeitig manövrieren. Ich kannte zwar nur 3, aber okay.
Die Triebwerke vom Turbosledge seien im Eimer, meinte der Weihnachtsmacho. Damit könnte er beim Start nicht genug Geschwindigkeit für genügend Auftrieb erreichen. Ich fragte dann natürlich, ob die Repulsorrentiere das nicht kompensieren könnten, aber nein. Die liefen nur mit alten Daimler-Benz V12 Turbodieselmotoren. Ich solle den Ferrari-Ingenieuren nichts davon erzählen, dass die viel besser seien als der halbelektrische Quatsch heutzutage. Allerdings bekäme man nur schwer Ersatzteile, weil die seit mehr als 25 Jahren nicht mehr hergestellt werden würden. Und so toll sie auch seien, sie reichten nicht für den Turboschlitten.
„Das heißt jedes dieser Rentiere hat über 300 Pferdestärken?“, fragte ich noch einmal nach.
„357 um genau zu sein“, meinte der Weihnachtsmann, „Umgerechnet also 72 1/2 Rentierstärken, aber mit der Einheit arbeitet man nur am Nordpol.“
AKT II – Starthilfe
Ich fragte den Weihnachtsmuskelmann, wie wir den Flitzer nun repariert bekämen. Er überlegte, dass wir entweder auf den Osterhasen-Abschleppdienst warten könnten, der aber voraussichtlich erst im Frühjahr, also viel zu spät für Weihnachten, auftauchen würde oder er ein Gefährt bräuchte, dass kurzzeitig Mach 3 erreichen könnte, um den roten Himmelsflitzer abzuschleppen. Ich überlegte, ob ich sowas kurzfristig organisiert bekäme.
„Also mein Golf hätte ein Bratensoßeeinspritzatggregat“, erwähnte ich beiläufig.
Der Weihnachtsdepp sah mich mit einer Mischung aus Freude und Ungläubigkeit an. Ja, Ungläubigkeit. Ich erklärte ihm, dass ich das für die Reise mit meinem Vater zu einem Konzert selber eingebaut hätte, um die Herkunft eines solchen Geräts in meinem Gefährt zu plausibilisieren, aber es schien ihn nicht recht zu interessieren. Ist ja auch eine andere Geschichte.
„Maggi oder Knorr?“, fragte er mich nur. Aha! Ein Mann vom Fach also!
„Ein Hybrid, damit mehr Tankstellen für mich infrage kommen“, sagte ich.
Red Lantern war sichtlich nicht besonders begeistert. Jedermann wusste, dass hybride Bratensoßenaggregate die inneffizientesten waren. Knorr hat die bessere Energieeffizienz, Maggi ganz klar den punktuellen Spitzenoutput (und schmeckt besser). Beide zusammen kombinierten allerdings nur die Nachteile von beiden. Aber immerhin konnte man mit jedem Soßenpulver, ein wenig Wasser und einem Campinggasbrenner auch mitten im Nirgendwo genügend Sprit bis zur nächsten Tankstelle zusammenrühren.
„Besser als gar nichts“, meinte Rotjäckchen schließlich, „Zeig mir das gute Stück.“
„DEN GOLF DU IDIOT!“, schob er aggressiv hinterher, als ich dabei war, meine Hose zu öffnen.
Wir standen also zu elft vor meiner Garage: 9 Cyberrentiere, der rote Rächer und ich. Man mag auch Nachbarin Inge von Gegenüber mitzählen, die selbst mitten in der Nacht am Fenster stand und mangels besserer Alternativen zum Zeitvertreib das Straßengeschehen beobachtete. Ob ihre Nase an der kalten Scheibe schon festgefroren war und sie gar nicht mehr weg konnte? Ich war mir jedenfalls sicher, sollten sich meine nächtlichen Erlebnisse bewahrheiten und nicht als Halluzination oder Traum herausstellen, dann würde es spätestens am darauffolgenden Morgen der ganze Ort wissen, dank Inge. Also wenn ihr jemand glaubte. Ja, glaubte. Andererseits war Inge von mir nicht sonderlich andersartige Eskapaden gewohnt, also wer weiß.
Ich klappte endlich mein Garagentor nach oben, um die Sicht auf meinen Golf freizugeben. Naja, freigegeben hätte, wenn ich nicht noch die Schneefräse am vorderen Dreipunkt-Kuppler hängen gehabt hätte.
„Was ist das denn?“, regte sich Spartaklaus auf.
Ich erklärte ihm Bezeichnung und Funktion einer Schneefräse. Er war nicht begeistert, dass ich ihn für dumm verkaufte. Er wollte, dass ich das Ding abnehme. Im Winter? Keine Chance! Also wenn man durch meterhohen Schnee fahren muss oder eine Meute Kinder in der Spielstraße ist das Teil unbesiegbar. Und auch wenn man es eilig hat und durch die Vegetation diverser Vorgärten querfeldein fahren muss, leistet es gute Dienste im Freiräumen.
Schließlich lenkte er ein, dass die Schneefräse dranbleiben durfte, auf die Gefahr eines spontanen Wildschadens, also Schaden am Wild, bei zu starkem Abbremsen hin. Die Behuft-Genossenschaft würde eine solche Arbeitsunfähigkeit abdecken, der Golf könnte weiterfliegen, solange mindestens 7 Rentiere vornedran gespannt wären und hinten wäre noch Platz für bis zu drei verunglückte Rentiere. Außerdem wären wir mit einer angeschalteten Schneefräse sicher vor einem Vogelschlag, der häufigste Todesursache bei Rentieren.
Ich fuhr den Golf also aus der Garage während Nitroklaus und die 9 vierbeinigen Rundfunkantennen den verunglückten Ferrari auf die Straße schleppten. Das Teil sah echt nach einem Totalschaden aus. Jammerschade um die verkratzten Chromkufen, die waren brandneu (laut Aussage Werner das Rentier).
Der Weihnachtsmann legte dem Cyberwild sein Geschirr wieder an und verband die Treibstoffleitungen mit dem Bratensoßeaggregat des Golfs. Zusätzlich montierte er die Zügel an der Lenkstange und befestigte die Sicherheitskabel an den Außenspiegeln. Ich hakte derweil den Rennschlitten mit dem Abschleppkabel in meinen Wagen ein.
Dann setzten der Weihnachtsmann und ich uns in den Wagen vorne. Er bestand darauf, dass ich das Steuer übernehme. Er müsse schließlich dafür sorgen, dass im richtigen Moment der Antigravgenerator vom Schlitten per Fernsteuerung gezündet wird, sonst würden wir nicht locker flockig leicht in die Lüfte aufsteigen, sondern mit Mach 5 in eine Hauswand eines Mehrfamilienhauses krachen. Und vermutlich auch noch in 12 weitere Häuser dahinter.
Ich schluckte unangenehm, dann legte ich die Zündung ein und den ersten Gang. Ich wartete peinlich berührt und schweigend auf weitere Anweisung.
„Du musst schon noch die Rentiere starten, sonst wird das nichts“, maulte mich die Zipfelmütze von der Seite an (er hatte mittlerweile eine aufgesetzt, denn die auf 0 runterrasierten Seiten hatten bei den Minusgraden kalt bekommen). Ich rüttelte einmal an den Zügeln, sodass sich eine Welle durch die Zugseile nach draußen und dann nach vorne bewegte und rief laut „Hüa!“. Werner an der Spitze blickte meine Ernsthaftigkeit infrage stellend zu mir zurück. Wenn Cyberrentiere Augenbrauen hätten, dann hätte er jetzt eine davon hochgehoben. Der Weihnachtsmann sah schon rot (also diesmal metaphorisch), denn er warf sich schnaubend die Hand vors Gesicht.
„Das sind RENTIERE, keine Pferde, Alter!“, knurrte er mich an, „Du musst ihre Namen in der richtigen Reihenfolge aufsagen, um sie zu starten. Das ist wie ne PIN, dass niemand den Schlitten klaut.“
Ich verarbeitete das einen Moment. Dann kurbelte ich das Fenster runter, lehnte mich hinaus, holte tief Luft und stieß hinaus: „Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner, Blitzen, Rudolph!“
„WERNER!“, schrie der Weihnachtsmann mich an.
„ECKHAAAART!“, rief ich aus Reflex laut aus. Augenblicklich hörte ich den R9-Motor mit ohrenbetäubendem Knattern aufheulen und unser Gespann machte einen Satz nach vorne. Der Nadel der Geschwindigkeitsanzeige zufolge hatten wir schon 80 Sachen darauf. Innerorts. Ich kam mit dem Hochschalten kaum noch hinterher. Auf Zuruf des Weihnachtsmannes legte ich den Leerlauf ein und schaltete dann das Bratensoßeaggregat zu. Es gab nochmal einen gewaltigen Sprung nach vorne und ich wurde in meinen Sitz gedrückt.
„Mach 3,2“, sagte ich die Geschwindigkeit durch, wobei ich gegen die Trägheitskräfte ankämpfen musste, die mir die Luft aus der Lunge drückten. Der Weihnachtsmann drückte stumm auf einen Knopf auf seiner Fernbedienung. Ich sah durch die Frontscheibe eine Hauswand auf mich zurasen, dann lenkte unser Gefährt stark nach oben. Ich konnte nun den klaren Sternenhimmel sehen.
„V1, rotate“, gab Werner per Funk durch, wie ein professioneller Pilot. Sobald wir in der Luft und im sanften Steigflug waren, glichen der Weihnachtsmann und ich die Navigationsinstrumente ab, um den richtigen Kurs anzulegen.
„Schmeiß den Autopiloten an, wird ein langer Flug“, fordert Santa Reynolds mich auf.
„Autopilot?“, wiederholte ich fragend, „Kollege das ist ein 2006er Golf. Und außerdem halte ich nichts von Selbstfahrern.“
„Mir egal, dann halt du das Steuer gerade. Ich hau mich aufs Ohr“, sagte der Typ, drehte sich zur anderen Seite und klappte die Sitzlehne in die Liegeposition.
AKT III – Die Nordpol
Wir flogen nun schon einige Stunden mit hoher Geschwindigkeit durch die Lüfte, aber mangels GPS konnte ich nur anhand der Sterne navigieren. Und mangels freier Sicht konnte ich auch nicht anhand der Landschaft unter uns abgleichen, wo wir waren.
Für einen kurzen Moment gab es ein Rütteln im Rentiersystem. Eine Wolke aus schwarzem Rauch sprühte auf die teilweise eingefrorene Windschutzscheibe und versperrte nun vollends die Sicht, nicht einmal die Cyberrentiere vor uns konnte man sehen. Ich rüttelte am schlafenden Santa, um ihn wach zu machen.
Das Rütteln hatte aufgehört, aber ich konnte kein Motorengeräusch mehr hören und meine Innereien hoben sich, als wären wir im freien Fall. Der Weihnachtsmann schreckte auf. Blitzschnell analysierte er die Situation.
„Das ist Nr. 7, der hat Verstopfung und blockiert die Treibstoffzufuhr zu den vorderen Rentieren“, stellte er fest.
„Im Handschuhfach liegt Abführmittel“, rief ich meinem Beifahrer zu, „Direkt neben dem Chloroform.“
Der Weihnachtsmann ignorierte mich und betätigte stattdessen das Funkgerät.
„Prancer du Hornochse, warst du schon wieder bei SubHay und hast dir dieses billige Fertigheu reingezogen?“, schrie er in das Gerät hinein, „Werner, du bist vor ihm. Wirf eine Ladung WD-40 ab.“
„Verstanden“, bestätigte Werner uns. Man hörte eine Flüssigkeit auf die Windschutzscheibe klatschen. Ich benutzte einmal die Scheibenwischer, nun konnten wir wieder klar sehen. Wir waren umgeben von dicken Wolken, konnten unsere Flugichtung also nicht bestimmen. Vom Gefühl her waren wir immer noch am Fallen.
Unser Gespann durchbrach die Wolkendecke. Die Sonne schien gerade so ein wenig über den Rand des Horizonts und tauchte den Himmel in ein zartes Gelborange. Was nichts daran änderte, dass wir gerade im Sturzflug auf den Ozean zurasten. Weit und breit nichts als Ozean.
Plötzlich sprang der R9 wieder an. Ich atmete auf. Langsam, aber sicher brachte ich das Gespann einige Meter über der Meeresoberfläche in die Waagerechte. Also ich tue einfach mal so, als wäre ich es gewesen. Schließlich saß ich am Steuer.
„Rauch am Horizont!“, meldete Werner uns über Funk, „Mutterschiff in Sicht.“
Mutterschiff? Was laberte der Kollege da? Am Horizont konnte ich es erkennen. Ein Schiff, das so aussah, als wäre es… ein Flugzeugträger der US-Navy!
„Landeanflug einleiten!“, befahl der Weihnachtsmann den Rentieren, „Dasher, du kontaktierst den Tower.“
Landen? Landen! Ich hatte schon viel erlebt in meinen jungen Jahren, aber ich hatte noch nie einen VW-Golf auf dem Deck eines Flugzeugträgers gelandet. Nicht, dass es nicht schon lange auf meiner ToDo-Liste gestanden hätte, aber das kam früher als erwartet. Und unerwarteter als erwartet.
„Leerlauf rein und Hände vom Steuer“, gab der Weihnachtsmann Kommando. Ich leistete mit verzweifeltem Blick Folge.
„Kuck nicht so, überlass das Werner“, sprach er weiter und das erstmals mit beruhigender Stimmlage, „Der ist genau dafür ausgebildet und qualifiziert.“
Werner drehte den Kopf wieder zurück und zwinkerte mir zu. Dann funkte er die anderen Rentieren an: „Auf mein Kommando auf Hufumkehr schalten. Und zwaaaaaar… Jetzt!“
Wir waren schon unfassbar nahe an dem Schiff dran. Wir wurden immer langsamer, verloren stetig, allerdings kontrolliert an Höhe, bis wir schließlich sanft und mit nur wenigen Stundenkilometern auf dem Deck aufsetzten.
„Bremsen!“, rief Santa mir zu und drückte mein Bein runter. Wir kamen zum Stillstand. Wir standen mitten auf einem Flugzeugträgerdeck, der Weihnachtsmann und ich. In einem Golf sitzend. Mit 9 Rentieren vornedran. Und einem Schlitten mit Abschleppkabel hintendran. Fassungslos blieb ich sitzen, mit den Händen steif am Lenkrad und dem Blick starr gerade aus, unterdessen der Weihnachtsmann bereits die Rentiere abtäute.
Als ich nach einer Weile immer noch nicht ausgestiegen war, öffnete der Weihnachtsmann mir die Fahrertür. Er erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei. Ich blinzelte ihn nur ein paar Mal stumm an. Dann rannte ich zum Rand des Decks und musste kotzen. Weihnachten brachte mich seit jeher zum Kotzen, aber noch nie physisch. Ich glaubte, in der über Bord fliegenden Kotze Stückchen in Form von Sternchen und Tannenbäumchen zu erkennen, aber wer weiß wie realitätsnah diese Wahrnehmung war, nach dem was ich bis dahin so erlebt hatte. Es war noch lange nicht vorbei.
Ich brauchte ein paar Minuten, um mich zu erholen. Also ließ ich solange die Beine vom eisigen Deck baumeln. Der Weihnachtsmann stapfte unterdessen zu einem Colaautomaten, der neben dem Zugang zum Inneren des Schiffes stand, und zog sich zwei Pepsi. Eine trank er direkt aus, die andere überreichte er mir. Der Zucker tat mir gut, auch wenn ich sonst lieber Coca Cola trank (was gerade der Weihnachtsmann eigentlich auch so sehen sollte).
„Willkommen auf der S. S. Nordpol“, sagte Santa, als ich endlich wieder Stehen konnte, und klopfte mir zwei Mal fest mit seinen Ryan Reynolds-Muskeln auf die Schultern.
„Das S. S. steht fürs Santa’s Seeschiff“, ergänzte Werner das Rentier. War irgendwie wenig überraschend.
„Warte – du lebst also nicht am geographischen Nordpol, wie man immer sagt?“, fragte ich die Sagengestalt mit einer Spur realisierender Erkenntnis in der Stimme.
„Was meinst du, warum mich da noch niemand gefunden hat?“, erwiderte der Rotmantel, „Wenn man in einer Nacht den ganzen Erdball abdecken muss, dann lohnt sich so eine mobile Basis doch umso mehr, oder? Das Konzept haben mir die Amerikaner vor 70 Jahren abgekupfert, deswegen haben sie jetzt einen Supercarrier in jedem Winkel der sieben Weltmeere zum Zwecke der Machtprojektion. Macht mir die Arbeit jedenfalls nicht leichter.“
Es ergab alles so viel Sinn für eine Gestalt, von der ich glaubte, dass sie rein ausgedacht war. Ja, glaubte. Meine Neugier war geweckt. Fürs Erste war ich davon überzeugt, dass es den Weihnachtsmann gab. Nur waren die Details drumherum noch ungeklärt, also im Prinzip wie es ihn gab.
AKT IV – Unter Deck
Der Weihnachtsmann führte mich zu der stählernen Tür, die vom Deck in die Insel und damit ins Innere des Schiffes führte. Ich öffnete auf sein Geheiß und trat ein. Ich blickte sofort in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe.
„Oooookay Motherfucker, wer zum Teufel bist du und erzähl mir am besten zuerst, warum ich dich nicht sofort kaltmachen sollte“, blökte mir die näselnde Stimme von Til Schweiger entgegen. Instinktiv hob ich die Hände.
„Den habe ich mitgebracht. Oder besser gesagt: er mich“, rief die tiefe Männerstimme des Weihnachtsmannes hinter mir, „Pack die Waffe weg, Ozzy!“
„Osbourne?“, fragte ich nach hinten, weiterhin mit erhobenen Händen und einer Waffe im Gesicht. Der Weihnachtsmann verneinte.
„…und die Kakerlaken?“, riet ich ein zweites Mal. Ach nee, der hieß Oggy.
„Ozzy ist die Kurzform von Osterhase. Ist zeitgemäßer“, erklärte der Weihnachtsmann seufzend.
Ich schielte an der Waffe vorbei und konnte zwei lange, pelzige Ohren erkennen.
„Du hast uns kompromittiert, Manni!“, warf der Osterhase ihm vor, „Keine Fremden in unserer Basis! Wenn der dich gesehen hat, hättest du ihn wie es das Protokoll verlangt abknallen und es nach einem Unfall aussehen lassen müssen. Stattdessen bringst du ihn mit!“
Der Weihnachtsmanfred stellte sich schützend vor mich.
„Ich hatte meine Dienstwaffe nicht dabei, war ja nur ein Testflug“, erklärte sich der Mann im roten Samt, „Außerdem wäre ich ohne ihn gar nicht hier, er hat mich abgeschleppt. Ich schulde ihm was.“
Ich lächelte den Osterhasen über die Schulter des muskulösen Roten hinweg an und winkte ihm mit meinen Fingern zu. Ozzy senkte endlich seine Waffe wieder ab und steckte sie gesichert ins Holster.
„Ozzy Osterhase, Sicherheitsbeauftragter vom Weihnachtsmann“, stellte sich der Typ im Fursuit vor und streckte mir die pelzige Hand aus. Ich schlug ein. Im Gänsemarsch stiegen wir die Treppen zum Hangar hinab.
„Du hast also eine Dienstwaffe?“, fragte ich den Weihnachtsmann.
„Jup“, antwortete der cool, „Und wenn der Osterhase weiterhin so gewaltbereit ist, werde ich sie auch benutzen.“
„Warum hört der sich eigentlich so an wie Til Schweiger?“, fragte ich weiter.
„Weil er’s is“, sagte Santa desinteressiert und packte den Osterhasen am Schopf. Für einen Moment zog der Weihnachtsmann ihm den Kopf des Hasenkostüms ab, sodass ich tatsächlich für einen Augenblick Til Schweigers Gesicht sehen konnte. Der holte sich den Kopf aber schnell wieder zurück. Fuck. Til Schweiger ist der Osterhase! Das musste ich erst mal verarbeiten.
„Was meinst du, warum der Typ in seinen Filmen so stark lispelt, als hätte er einen Überbiss wie ein Nagetier?“, fragte mich der Weihnachtsmann, „Weil er einen hat. Die Idee für Keinohrhasen entstand, als ich ihm die Löffel am Bugschott festgetackert habe, weil er eins meiner Rentiere für seine Schießübungen missbraucht hatte. Es gab zwei Wochen lang Hirschgulasch und der hat gar nicht übel geschmeckt, aber das ist nicht der Punkt.“
Wir gingen weiter. Ich erinnerte mich an mein letztes Weihnachtsspecial. Das sollte meine nächste Frage inspirieren: „Wenn der Osterhase also ein deutscher Schauspieler ist und bei dir hier an Bord… Iiiiist Fritz Wepper dann auch hier?“
„Ach, du meinst Methusalem?“, fragte mich Til, „Mit 70 geboren, für immer 70? Für den Chris Roberts den Song ‚Du kannst nicht immer Siebzig sein‘ geschrieben hat?“
„Ozzy, in der Öffentlichkeit wurde der Text auf Siebzehn geändert, damit niemand den Zusammenhang herstellen kann. Niemand weiß, dass Chris Roberts da Fritz Wepper besingt“, stellte der Weihnachtsmann richtig.
„Jedenfalls findest du ihn in der Bordküche, er macht hier den Smutje“, beantwortete mir der Osterhase endlich meine Frage.
Wir gelangten nun zum Hangar. Der Osterhase ließ uns dann auch wieder in Ruhe, er musste auf seinen Posten zurück. Der Weihnachtsmann und ich beobachteten, wie mein Golf, der Turboschlitten und die 9 Cyberrentiere mit dem Lastenaufzug vom Deck herab gefahren wurden. Es war schon ein majestätischer Anblick, dauerte aber etwas.
Während wir warteten, stellte mich der Weihnachtsmann einigen Crewmitgliedern vor. Zuerst den beiden Heinzelmännchen, die Mechaniker und Technik-Experten an Bord. Entgegen meinen Erwartungen waren es keine kleinen, heimlichen Wundertäter mit grauen Bärten und Zipfelmützen.
Nein, es waren zwei etwa 2,50m hohe, muskelbepackte Brüder mit Sonnenbrillen, schwarzen Tanktops, olivgrünen Cargohosen, den Seiten auf 0,5 und gepflegten, mattschwarzen Bärten. Bei dem Anblick wurde selbst ich als Mann feucht. Könnte aber auch sein, dass ich mir vor Angst in die Hose gepinkelt hatte, das würde ich dann beim Waschen der Hose herausfinden. Jedenfalls kam es selten vor, dass ich mal zu jemandem nach oben schauen musste.
Dann zeigte der Weihnachtsmann in eine Ecke, in der viele Akten, topografische Karten und Koordinatensysteme herumlagen, auf Bildschirmen angezeigt oder über Holoprojektoren an die Wand geworfen wurden. Inmitten des Chaos stand ein einzelnes, normales Rentier mit einer blutigen Nase und nach außen schielenden Augen, das gerade eine Akte zerkaute, auf der in weihnachtsmannmantelroten Großbuchstaben gedruckt stand „Watergate – Top Secret“.
„Das da, das ist Rudolph“, sagte der Weihnachtsmann, „Er ist Cyberleugner, deshalb darf er wegen der Sicherheitsbestimmungen seit ein paar Jahren nicht mehr mitfliegen. Damit wir ihn nicht gehen lassen mussten, haben wir ihm einen Job in der Lagerlogistik und im Archiv gegeben. Er leitet den Laden jetzt.“
„Cyberleugner? Ist das sowas wie ein Coronaleugner?“, wunderte ich mich.
Der Weihnachtsmann lachte laut. Ich hielt das für eine legitime Frage.
„Das hört sich vielleicht ähnlich an, ist aber ganz und gar nicht dasselbe. Rudolph ist doch nicht dämlich!“, erwiderte der Weihnachtsmann, „Unser lieber Rudolph denkt nicht, dass durch kybernetische Implantate seine eigene Leistung verbessert wird, sondern nur künstlich was dazugemogelt wird. Das ist für ihn ein eine Sache von Werten, nicht vom Glauben. Das haben wir akzeptiert, ist schließlich ein schwerwiegender körperlicher Eingriff, der mit einer dramatischen biologischen Veränderung einher geht ist. Corona ist zweifelsfrei, die Seuche gab’s, ob du dran geglaubt hast oder nicht. Wie die verschiedenen Länder und Menschen damit umgegangen sind ist eine andere Sache, aber auch da musste man manchmal zwischen Glaube und Wirklichkeit unterscheiden.“
Das ist aber eine Unterscheidung, die nicht in (m)einer Weihnachtsgeschichte diskutiert werden sollte, denn da gibt es viele legitime Meinungen zu (aber auch jede Menge illegitime). Sowas machen wir hier nicht. Wenn zwischen den Zeilen hier eine Meinung gilt, dann meine, denn das Wort „mein“ steckt ja in Meinung drin, capito? (Hausrecht und so).
Rudolph sah jedenfalls glücklich mit seinem Job aus. Durch das Schielen konnte er zwei Akten gleichzeitig lesen und er hatte immer was zu essen. Der Tierschutz wäre zufrieden. Nicht so wie bei mir immer, hust, hust.
AKT V – Wie Weihnachten funktioniert
Wir, also der Weihnachtsmann und ich, standen nun schon eine Weile vor dem auf einer Hebebühne platzierten Turboschlitten und beobachteten die beiden heinzelmaskulinen Entitäten dabei, wie sie an den offen gelegten Triebwerken bastelten. Der Weihnachtsmann hatte sich aus dem nächstgelegenen Kühlschrank eine kalte Dose Pepsi genommen. Ich wollte wissen, was es damit auf sich hatte, also fragte ich ihn, warum er immerzu nur Pepsi trank.
„Aus Protest“, rülpste der Weihnachtsmann mir entgegen, „Aus Protest gegenüber meinem früheren Arbeitgeber.“
Ich stellte die logische Folgefrage: „Uuuund wer war dein früherer Arbeitgeber?“
Der Weihnachtsmann stellte sich vor mich, sah mir entnervt in die Augen und warf mir diesen Satz untermalt mit einer bitter sarkastischen Stimmlage entgegen: „Hmmm. Wessen größter Konkurrent könnte wohl Pepsi sein, dessen Farben ich trage und mit dem ich im kommerziellen Sinne stets assoziiert werde? Hast du denn zu Weihnachten nie eine Colawerbung gesehen?“
Ich klatschte mir meine Hand auf die Stirn, als ich meine eigene Dummheit erkannte. Wie hatte ich denn das verpeilen können? Ich sprach also voller Selbstbewusstsein die Antwort aus: „Fritz Cola!“
„Nein du Vollhorst, das ist doch die Eigenmarke von Fritz Wepper! An der verdienen wir mit!“, verbesserte mich Santa und rüttelte einmal kräftig an mir. Die Puzzleteile fügten sich endlich zusammen. Es ergab alles so viel mehr Sinn.
„Ich meine doch Coca-Cola!“, regte sich der Weihnachtsmann auf, „Diese elenden Halunken haben jahrzehntelang mein Gesicht für die Werbung missbraucht! Ausgebeutet haben sie mich, hätten mich Heiligabend beinahe nicht losfliegen lassen, weil ich bei einem Werbedreh krank war. Sie wollten, dass ich mit dem Coca-Cola Truck Geschenke ausfahre, dann könnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, aber das Ding hatte eben kein Bratensoßeaggregat!“
Der Weihnachtsmann beruhigte sich ein wenig von seiner Rage. „Naja und dann hab‘ ich den Sponsoringvertrag gekündigt und mich selbstständig gemacht“, fuhr er fort, „Ich hab Veränderung gebraucht. Radikalschnitt, Bart ab, fünf Mal die Woche Fitnessstudio. Ich hab ich hab mich mit meinen Kumpels zusammengetan, denen es ähnlich ging. Und wir haben zusammen das hier aufgebaut.“
Niedergeschlagen setzte sich der Weihnachtsmann auf einen leeren, umgedrehten Pepsi-Kasten und stütze sein Gesicht auf seinem Unterarm ab. Die Denker-Pose, nur eben mit einer Dose Pepsi in der Hand. Ich klopfte ihm bestätigend auf die Schulter und nickte ihm mutmachend zu.
„Und wie finanziert ihr euch, wenn ihr keinen Sponsor mehr habt?“, fragte ich als nächstes. Ich ging weiterhin davon aus, dass die Aufkleber auf dem Turboschlitten nur Deko waren, wie der Weihnachtsmann gesagt hatte. Warum sollte gerade der Weihnachtsmann lügen? Und sind wir ehrlich, Fritz Cola konnte nie im Leben genug für den Unterhalt eines Flugzeugträgers abwerfen.
„Wir finanzieren uns rein über die Tantiemen von Last Christmas, die George Michael bekommt“, antwortete mir der Bartlose, „Er steht auf der Brücke und steuert dieses Teil hier. Er hat den Bau in den Werften der US-Navy überwacht und bezahlt von seinem Tantiemengeld die ganzen Tech-Firmen für ihre Technologie und ihre Verschwiegenheit.“
Irgendwie fiel es mir nach allem, was ich bis dahin schon gehört und gesehen hatte, leicht, zu glauben, dass da wirklich George Michael, wahrscheinlich auch noch in Admiralsuniform, am Steuer vom Flugzeugträger des Weihnachtsmannes steht.
Der Weihnachtsmann meinte dann noch, dass Mariah Carey ihnen in den letzten Jahren deutlich die Show gestohlen hätte, aber die Tantiemen von Wham! trotzdem locker zur Finanzierung der größten, weltweiten Geheimoperation der Erde ausreichten.
In dem Versuch, den Weihnachtsmann etwas aufzumuntern, sagte ich ihm, dass ich „Last Christmas“ sehr viel besser fand als „All I Want For Christmas Is You“. Es hatte zwar was mit Weihnachten zu tun, aber die Melodie war schön und der Rhythmus hat einen eingefangen. Mariah Carey hat nur rumgejault. Da war man froh, wenn’s vorbei war. War’s aber nie, weil die Radiosender zur Weihnachtszeit nur diese beiden Lieder kannten, die für die breite Masse zugänglich waren. Es war also keine Frage dessen, was sie spielten, sondern nur wie oft sich ein Song wiederholen durfte, bevor der andere dran war oder in welcher Reihenfolge die beiden alternierten.
Ich setzte mich neben den Weihnachtsmann, auf einen kleinen Werkzeugschrank, dessen Rollen festgestellt waren. Seine Story war so plausibel und so authentisch, wie sie sein konnte. Aber wenn ich das ganze als realitätsgetreu abnehmen sollte, brauchte ich mehr.
„Wie funktioniert das physikalisch?“, fragte ich, „In einer Nacht um die Erde, alle Haushalte unbemerkt besuchen – wie schaffst du das?“
Der Weihnachtsmann richtete seinen gebeugten Körper wieder auf. Er wirkte nicht mehr geknickt, sondern eher interessiert. Er nippte noch einmal an seiner Pepsi, dann stützte er seine freie Hand auf sein Knie ab.
„Hast du schon mal Raumschiff Enterprise gesehen?“, fragte er mich.
„Du redest mit dem Experten“, gab ich Antwort, dann durchfuhr mich Aufregung, „Gibt es das etwa auch? Irgendwo 500.000 Kilometer über unseren Köpfen schwebt ein Raumschiff, finanziert durch die Tantiemen von Modern Talking mit Thomas Anders am Steuer?“
„Es ist Dieter Bohlen“, sagte der Weihnachtsmann trocken.
„Echt?“, freute ich mich, auch wenn ich Dieter Bohlen nicht mochte. Außen braun und innen hohl (der Witz ist geklaut).
„Nein du Spacko“, fuhr Santa mich an, „Es geht um die Technik. Wenn da wirklich ein Raumschiff wäre, wie würde es sich mit Überlichtgeschwindigkeit fortbewegen?“
Das war ja easy: „Na mit dem Warpantrieb!“
Der Weihnachtsmann musste es mir allerdings Schritt für Schritt aus der Nase ziehen. Er sprach weiter: „Und das heißt auf Deutsch?“
„Raumkrümmungsantrieb“, sagte ich und begann auszuholen, „Ein solcher staucht den Raum vor dem Raumschiff und streckt ihn dahinter. Das macht von außen den Eindruck, als würde das Raumschiff mit Überlichtgeschwindigkeit fliegen, aber in Wahrheit bewegt sich der Raum um das Raumschiff herum und es verharrt still in Position. So soll es jedenfalls funktionieren.“
„Par excellence“, lobte mich der Weihnachtsmann, machte das OK-Zeichen mit den Fingern und einen Kussmund. Dann setzte er wieder an „Der Warpantrieb krümmt aber nicht nur den Raum, sondern die ganze Raumzeit. Mit der richtigen Modifikation kann man also dafür sorgen, dass man sich nicht nur extrem schnell durch den Raum bewegt, sondern auch extrem langsam durch die Zeit.“
Ich überlegte. Rein physikalisch gar nicht so weit hergeholt. Aber immer noch schwer abstrus. Ich hatte den ganzen Käse ja schon von bis miterlebt. Ich habe den Weihnachtsmann berührt, bin mit Rentieren durch die Luft geflogen, wurde beinahe vom Osterhasen erschossen. Und sobald es wieder entfernt wissenschaftlich wurde, glaubte ich wieder nur an das, was bewiesen war. Was gerade ziemlich schwierig für mich war, denn ich hatte mein Physikstudium nie abgeschlossen. Der Weihnachtsmann wusste also wahrscheinlich sehr viel mehr über die tatsächliche Physik hinter Raumkrümmungsantrieben als ich, der nur auf für die Medien verdummte Versionen der Tatsachen als Erklärung zurückgreifen konnte.
Ich meine, ich konnte das unmöglich wirklich exakt durchrechnen, aber es wäre für einen Einzelnen extrem aufwendig, verlangsamte Zeitwahrnehmung hin oder her, alle Haushalte auf der Erde in einer Nacht zu besuchen. Das mussten Milliarden und Abermilliarden sein und selbst wenn man nur 2 Minuten für einen Haushalt berechnete, dann würde der Weihnachtsmann allein für Deutschland 80 Jahre brauchen, in seiner Zeitrealität.
Und für den Fall, dass er kein unsterbliches, mythologisches Lebewesen war, dann würde er da schon Probleme mit der Lebenserwartung bekommen.
Ich musste mich jetzt entscheiden. Sollte ich dem Weihnachtsmann mit meiner begrenzten, uneindeutigen, aber durchaus richtungsweisenden Information vertrauen oder nicht? Immerhin überließ er mir diesen Gedankengang und belaberte mich nicht, dass ich unbedingt glauben sollte, dass es ihn gibt und dass er Geschenke ausfährt.
Wenn mein Überlegenheitskomplex und ich es uns nicht vorstellen konnten, mit einem stark modifizierten und nicht TÜV-konformen Golf Plus eine solche Aktion durchzuziehen, wie zum Beispiel in einer Nacht alle Haushalte besuchen, hieß das automatisch, dass es unmöglich ist und es niemand anderes könnte? Ich dachte bis zu diesem Zeitpunkt nicht, dass ich das nochmal von mir behaupten könnte, aber ich stand vor einer Glaubensfrage.
Ich konfrontierte den Weihnachtsmann mit meinen Überlegungen. Er reagierte aber weder geschockt noch überrascht, sondern bliebt ruhig wie zuvor. Fast, als hätte er das erwartet. Er war sogar froh, dass ich genau diese Fragen stellte. Fragen stellen ist nie verkehrt, meinte er. Nur sollte man sich dann nicht vor den Antworten verschließen.
„Die für dich verfügbaren Informationen sind abgewandelt, teilweise Hörensagen, unvollständig oder sogar strikt falsch, was auch ein bisschen absichtliche Irreführung unsererseits ist, um versteckt zu bleiben“, begann der Weihnachtsmann einen Monolog, „Deshalb kannst du gar nicht anders, als kritisch zu hinterfragen, weil du rausfinden musst, was überhaupt wahr ist. Ich bin der Weihnachtsmann und ich weiß, was ich kann und nicht kann, was ich mache und nicht mache. Erstens: Ich besuche nicht jeden Haushalt, sondern einfach nur so viele wie ich schaffe. Wir rotieren alle Haushalte über die Jahre durch, das dauert teilweise Jahrzehnte alle einmal durchzubekommen. Und manchmal bleiben eben welche auf der Strecke, die in der Zwischenzeit dazu kamen oder nicht mehr existieren. Der Warpgenerator im Turboschlitten kann die Zeit nur so stark krümmen, wie er Energie parat hat und das ist mit unserem Stand der Technologie nicht viel. Meine „Nacht“ dauert vielleicht 72 bis 96 Stunden, je nach Route. Dann war es das. Diese Zeit lässt sich mit genügend Koks und Koffein auch wach bleiben, oft schlafe ich auf den längeren Zwischenrouten aber einfach. Zweitens: Wir arbeiten im Team. Ich bin nicht der einzige Weihnachtsmann, ich bin nur das Gesicht der Aktion, weil es meine Idee war und ich damit angefangen habe. Der Osterhase, das Sandmännchen, die Zahnfee, das Christkind, Fritz Wepper, die haben alle ihren eigenen Turboschlitten. Und drittens haben wir uns seit neuestem mit Amazon zusammengeschlossen und was wir manuell nicht schaffen, wird durch deren Lieferdrohnensystem zu kompensieren versucht. Viertens: Nicht alle unsere Geschenke sind materiell. Wir leisten heimlich Katastrophenhilfe, wir befreien Geiseln und Sklaven, wir reparieren Reaktorlecks in Kernkraftwerken, solche Sachen. Tschernobyl sollte eigentlich der Satan verhindern, Gott habe ihn selig. Und an Fukushima war Poseidon schuld, hat wieder zu viel geplanscht. Wir schaffen es eben auch nicht immer. Alles, was draußen ankommt sind aber nur die Heldengeschichten. Das, was sich eben gut vermarkten lässt.“
Und wieder stand ich vor der Glaubensfrage. Der Weihnachtsmann könnte sich eine x-beliebige Erklärung ausdenken, die, wenn sie wahr wäre, meine Vorstellungskraft und meinen Horizont übersteigen würde und wenn sie nicht wahr wäre mich auch nicht zufrieden stellen würde. Denn es gab ihn ja und er hatte einen Flugzeugträger und kybernetische Rentiere, das habe ich ja selbst erlebt. Aber den Rest konnte ich nicht überprüfen.
Ich entschied mich, dass es Sinn ergab, was er sagte und die Realität so zu nehmen, wie sie kommt. Das hieß für den Moment zuzugeben, dass ich einfach nicht wusste, was wahr war.
„Ich altere langsamer, weil ich als Kind in einen Warpreaktor gefallen bin, wie Obelix in den Trank“, redete Santa Klaus einfach weiter, „Ich verfüge nicht über Magie, habe keine Zauberkräfte, kann nicht vor dem inneren Auge sehen, was Leute sich wünschen oder wer artig oder unartig war. Und ich habe auch nicht hunderte kleine Helfer mit spitzen Ohren, die sich Elfen schimpfen. Das ist einfach so.“
„Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden“, zitierte ich an dieser Stelle passend das 3. Clarkesche Gesetz.
„Danke für das Gespräch, Alter“, sagte der Weihnachtsmann fast schon frohlockend, klopfte mir auf den Rücken und holte sich dann noch eine Pepsi ab. Der Turboschlitten sollte wohl noch ein Weilchen bis zur Reparatur brauchen, spätestens am Abend musste er jedoch fertig sein.
Schließlich war mittlerweile der 24. Die Amerikaner dürfen jetzt weghören (weglesen?). Der Weihnachtsmann kommt bei euch erst einen Tag später, weil ihr weiter hinten auf der Route liegt und weil ihr ihm weniger wichtig seid. Deshalb kommt der Weihnachtsmann in Sibirien erst am 26. und in China nie. Das hab ich sogar zweifelsfrei überprüfen können, Rudolph das schielende Rentier hat mir nämlich die Akte mit der Routenplanung gezeigt.
AKT VI – Beim Weihnachtsmann zuhause
Der Weihnachtsmann führte mich noch ein wenig durch den Carrier. Zuerst stoppten wir im Schlittenlager, das direkt neben dem Haupthangar lag. Hier lagerten auf hydraulischen Regalsystemen alle möglichen Formen, Farben und Variationen von flugfähigen Schlitten. Das waren sogar solche Regale, die auf Knopfdruck von hinten nach vorne durchrotierten, wie die Teppichrollen im Baumarkt. Ich glaube hinten in der Ecke stand sogar einer von Schumi’s Weltmeisterwagen zur Schau.
Das gesamte Lager war voll mit Cyberrentieren. Klar, mussten ja auch genügend von denen da sein, um die ganzen Schlitten zu ziehen. Ganz vorne bei uns wurde gerade etwas ganz besonderes bereit gemacht. Wie konnte ich das jetzt erst bemerkt haben? Da stand ein blankpolierter, stahlgrauer DeLorean DMC-12 mit hochgeklappten Flügeltüren und einem vollen Rentiergespann.
„Ist das…?“, stammelte ich ungläubig. Ja, ungläubig.
„Yep“, brummte Santa.
„Der vom…?“, stammelte ich weiter.
„Der vom Doc, genau“, bestätigte der Weihnachtsmann mir erneut, „Der hat allerdings keinen Warpfeldgenerator, sondern läuft mit Fluxkompensator. Die Technologie ist etwas anders, hat aber einen ähnlichen Effekt, wenn man sie richtig benutzt.“
Ich fragte an der Stelle zurecht: „Sind wir hier bei Marvel oder was ist das für ein Crossover?“
„Nein, Marvel hat das Büro unten auf dem D-Deck“, sagte der Weihnachtsmann.
Ich setzte mich ungefragt an das Steuer des DeLorean. Der Weihnachtsmann stieg neben mir ein. Ich fragte ihn um Erlaubnis, den Motor starten zu dürfen. Er nickte mir bejahend zu. Ich räusperte mich und rief dann laut: „Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner, Blitzen, Werner!“
Der Motor stotterte kurz, würgte dann aber ab. Die eingespannten Cyberrentiere drehten allesamt ihre Köpfe zu mir und sahen mich fragend an, manche von denen schüttelten auch enttäuscht den Kopf. Selbst einige der sonstigen Mitarbeiter hier sahen mich schief an. Der Weihnachtsmann informierte mich, dass nicht jedes Rentiergespann dieselben Namen hätte. Einleuchtend, sonst könnte man die ja nur noch anhand der Seriennummer auseinander halten. Das DeLorean-Geschwader sei aber zufällig mit den Geschwistern vom Weihnachtsmann-Geschwader besetzt, deshalb hatte der Motor auch kurz gestottert und es hätte beinahe geklappt. Der Weihnachtsmann übernahm die Zügel und rief laut aus: „Dashcam, Dagger, Prince, Vixer, Vomit, Stupid, Döner, Bastard, Ralph.“
Und schon durfte ich dem zarten Gurgeln des DeLorean R9-Rentiermotors lauschen. Ein fantastisches Gefühl. Den Fluxkompensator durfte ich allerdings nicht bedienen, das sei zu gefährlich für untrainierte Hände. Ich und untrainiert? Der Rest vom Körper vielleicht, aber die Hände benutzte ich ständig!
Ich vernahm aus der Halle hinter uns das Aufgehen und Zuschlagen einer Stahltür, dann das wütende Gestapfe von verchromten Rentierhufen auf dem Deck. Nun hörte man eine aggressive Stimme schreien: „Welches Arschloch hat mir auf meine Wäsche gekotzt, die ich unten auf dem C-Deck zum Trocknen rausgehängt habe? Da sind sogar Stückchen in Form von Sternchen und Tannenbäumchen drin! Widerlich!“
Ich stupste den Weihnachtsmann an und fragte: „Zeigst du mir den nächsten Bereich?“
Er präsentierte mir nun die Halle der Gründer. Es war eigentlich keine richtige Halle, sondern nur ein hübsch dekorierter Raum. An der Wand waren mehrere Bilderrahmen mit den Fotos der Gründungsmitglieder und darunter standen ihren echten Namen. Daneben stand ein Pepsi-Kühlschrank.
Der Weihnachtsmann stellte sie alle der Reihe nach vor. Das erste Bild war natürlich seines und er fasste sich mit dem Vortrag kurz, denn seine Geschichte hatte ich ja bereits gehört. Daneben hingen die Bilder von Jeff Bezos, Stephen Hawking und Bill Gates. Sie waren betitelt mit „Christkind“, „Nikolaus“ und „Knecht Ruprecht“.
„Jeff Bezos ist das Christkind?“, fragte ich verwundert.
„Um ehrlich zu sein halten die meisten das Christkind für ein Arschloch, die Rentiere eingeschlossen“, führte der Weihnachtsmann aus, „Wenn du mich fragst, ist es das auch, deshalb kommt das Christkind ja auch nur noch in Deutschland und im Rest der Welt ich. Jeff hat sich am Anfang an unserer Sache beteiligt und deshalb hängt sein Bild hier. Seit er aber mit Amazon dick Moneten macht ist er hier ausgestiegen. Immerhin stellt er uns seine Lieferdrohnen zur Verfügung, damit wir ihn nicht auffliegen lassen.“
„Und die anderen beiden?“, hakte ich nach.
„Naja Stephen Hawking ist selbsterklärend“, erzählte der Weihnachtsmann weiter, „Wie du siehst bin ich nicht der Nikolaus, auch wenn unser Hintergrund ähnlich ist. Die Amerikaner wollen das aber nicht so recht kapieren, dass wir nicht dieselbe Person sind. Den Nikolaus mussten wir leider ausknipsen, weil er zu viele unserer Geheimnisse des Universums an die Menschheit preisgegeben hatte. Er war ein unglaublich herzlicher Kerl, hatte nur das Geben im Sinne. Deshalb ist es wohl so gekommen, wie es kommen musste. Und Knecht Ruprecht, also der… war immer unsere Stimme der Vernunft. Hat das Betriebssystem für die Turboschlitten entwickelt, Chimney-OS. Auf seinen Tipp hin sind wir irgendwann von Schornsteinen auf Fenster umgestiegen, kommt man mit dem Quantentunneleffekt einfacher durch, wenn man in ein Gebäude einsteigen will. Die Gerüchte sind allerdings wahr, er hat wirklich Kinder gegessen. Rentier-Kinder, bevor du ausflippst. Deshalb halten wir ihn streng unter Beobachtung.“
„Ich sehe kein Bild vom Osterhasen“, stellte ich fest.
„Ist ja auch kein Gründungsmitglied“, sagte der Mann im roten Gewand, „Ozzy hat sich ganz normal für den Job beworben. Die Bewerbungsmappe war zwar eine einzige Katastrophe wegen der ganzen Rechtschreibfehler, weil der auch beim Schreiben lispelt, aber er war der beste Bewerber.“
„Habt ihr auch nen Grinch?“, fragte ich dann aus reinem Eigeninteresse. Vielleicht konnte ich so ermitteln, wie ich es in Zukunft vermeiden könnte, ständig mit dem verglichen zu werden.
„Da fragst du was“, seufzte der Weihnachtsmann hörbar, „Die Filme sind allesamt nicht wahrheitsgetreu, egal was du gesehen hast. Er hasst weder Weihnachten noch Menschen. Er liebt es nicht unbedingt, aber es ist keine Hassbeziehung. Er ist eigentlich immer nur so mies gelaunt, weil er bei uns die Buchhaltung machen muss. Versuch du mal die Jahresendabrechnung für eine milliardenschwere, private Geheimorganisation zu machen und das dann noch irgendwie dem Finanzamt beizubringen.“
„Das Finanzamt weiß von euch?!“, leitete ich mit einem gewissen Entsetzen daraus ab.
„Die finden einen überall, vor allem wenn man sich vor steuerlichen Abgaben drücken will“, versuchte Santa sich zu rechtfertigen, „Wir haben es nicht vermeiden können. Wenn du meinst, Fluxkompensatoren und Turboschlitten wären geiles Zeug, dann solltest du mal sehen, mit welchem Spielzeug das Finanzamt die Steuern eintreiben kommt.“
Warum war mir das klar gewesen, dass das Finanzamt sich immer den geilen Scheiß leisten konnte? Naja egal. Ich verbrachte den Tag mit dem Weihnachtsmann und ließ mir erklären, wie alles rund um Weihnachten funktionierte. Ich hatte gar ein völlig falsches Bild von Weihnachten. Wusstet ihr, dass die katholische Kirche Weihnachten nur wegen der Publicity geklaut hatte? Das war gar nicht deren eigene Kreation. Die haben 2000 Jahre Religionsgeschichte gefaked, nur um dann fett abzusahnen. Dabei war das so offensichtlich, dass da was nicht zusammen passte. Ich meine: Come on, Tannenbäume!
Ich durfte davon aber nichts weitererzählen, musste sogar vor den Augen des Weihnachtsmannes ein NDA unterschreiben. Solange die katholische Kirche nämlich vor den Augen aller Welt den Sündenbock für das Weihnachtsfest spielte, kam niemand dem tatsächlichen Weihnachtsmann auf die Schliche.
Wir haben noch zusammen fantastische, frisch von Fritz Wepper gebackene Kekse gegessen. Ich habe dabei die beste Heiße Schokolade meines Lebens geschlürft und der Weihnachtsmann einen Pepsi Spice Latte.
Dann folgte ein kurzes Nickerchen. Noch nie hatte ich so gut geschlafen wie auf einer Hängematte aus Rentierfell, die zwischen den Geweihen zweier Cyberrentiere gespannt war (Das Rentierfell war der Überschuss aus den Operationen, bei denen Titanplatten transplantiert wurden, es musste kein Rentier dafür sterben. Fürs Protokoll).
AKT VII – Der lange Weg nach Hause
Dann war es so weit, abends am 24. Ich hatte von den Heinzeltürstehern einen eigenen Fliegeroverall im Santander-Style bekommen. Der Weihnachtsmann und ich trafen uns dort, wo vorher der DeLorean stand. Nur stand da nun der reparierte Turboschlitten, davor das volle Rentiergeschwader gespannt, dahinter der Golf mit einem Abschleppkabel verbunden.
Rudolph kam mir entgegen. Er informierte mich, dass der Golf vollgetankt worden war, einmal mit 50 Liter superverbleitem Benzin und der Zusatztank mit 5 Litern feinster Maggi-Bratensoße. Und außerdem hätten die Heinzelmänner einen Autopiloten für mich nachgerüstet. Cool.
Ich fragte Rudolph nach seiner dauerblutenden Nase (die übrigens nicht leuchten konnte) und ob er das nicht mal hatte untersuchen lassen. Übler Heuschnupfen, meinte er, was echt ungünstig ist, wenn Heu deine primäre Nahrungsquelle ist. Cetirizin würde das Problem nur verlagern auf andere Körperöffnungen. Die einzige Alternative wäre eine kybernetische Nasenprothese, aber da war er sich noch nicht sicher, ob er das machen wollte. Ich wünschte ihm alles Gute und wandte mich dann an den Weihnachtsmann. Ich war nun bereit für den Abflug.
Als ich zu ihm in den Turboschlitten steigen wollte, blockierte er mir den Weg. Ich solle hinten, im Golf einsteigen. Er würde mich nur zuhause absetzen und dann weiterfliegen. Ich dürfte immerhin ein letztes Mal den R9 starten. Also zählte ich fast mit ein wenig Bedauern in der Stimme alle Rentiernamen in der korrekten Reihenfolge auf: Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner, Blitzen und Werner.
Rattern, Dröhnen und Vibration verkündeten das Anlaufen des Gespanns. Mir fehlte sogar Comets Auspuffknattern ein wenig. Die Heinzelmännchen hatten wohl seinen Katalysator ausgetauscht und den CO2-Filter gereinigt. Ich legte den Leerlauf vom Golf ein und drehte die Klimaanlage wie auch die Sitzheizung auf – gleich würde es kalt werden.
Vor uns öffneten sich die großen, mächtigen Tore zwischen Lager und Hangar, sobald wir langsam anrollten. Werner das Rentier führte den Schlitten genau mittig auf die Plattform des Deckaufzugs. Ich sah mich um, wie all die Rentiere und sonstigen Fabelwesen und mythischen Gestalten uns zuwinkten. Es war nicht der erste Start des Abends, der Osterhase war schon mit dem DeLorean losgeflogen, aber es war eben der Start des Weihnachts-fucking-mannes himself. Klar, dass da jeder schaute und winkte. Und ich saß ja auch noch drin.
Der Hangar und die Leute darin verschwanden nun unter der Kante der Aufzugsplattform, die allmählich nahtlos mit dem Flugdeck verschmolz. Werner beförderte den Geleitzug mit der Hufumkehr noch einige Meter nach zurück, dann erhielten wir Starterlaubnis von George Michael im Tower. Mit einem Satz nach vorn begann das Gespann wie bekannt zu beschleunigen. Als wir an der Kommandoinsel vorbei sausten, sah ich, wie George Michael uns in seiner Admiralsuniform salutierte. Ich salutierte zurück, so wie sich das gehört.
„Grüßen Sie Thomas Anders von mir“, funkte ich ihm zu.
Pünktlich zur Kante des Flugdecks zeigte der Geschwindigkeitsmesser mir Mach 3,5 an.
„V1, rotate“, hörte man Werners professionelle Stimme über das Funkgerät, dann ging es nach oben. Für einen kurzen Moment konnte ich einen Blick auf die beiden Glöckchen des Weihnachtsmannes erhaschen. Also die, die unter seinem Schlitten hingen (Ihr Perversen!). Im rot schimmernden Licht der untergehenden Sonne hoben wir ab und stiegen federleicht in die Lüfte auf. Als wir die Wolkendecke auf der anderen Seite durchbrachen, war die Sonne bereits untergegangen.
„Erreichen Reisehöhe, Fluggeschwindigkeit stabil bei Mach 7,5“, gab Werner durch, „Erlaubnis für Zündung des Warpfeldgenerators erteilt.“
„Kennst du Aurora Borealis?“, fragte mich der Weihnachtsmann über Funk.
„Die Polarlichter, klar“, erkannte ich, was eigentlich nach einer Punkrockband klang, „Wenn geladene Teilchen mit dem Erdmagnetfeld wechselwirken.“
„Das sagt man euch da unten“, erwiderte der Santanderklaus, „Das ist der Neutrinoausstoß unseres Warpfeldgenerators, der die Teilchen zu dieser Reaktion bringt.“
Man hörte aus dem Funk, wie der er einen Hebel im Cockpit umlegte. Kurz danach glühten die Kufen des Turboschlittens auf und hinterließen zwei bunt schimmernde Spuren im Himmel und hüllten meinen Golf in eine zauberhafte, bunt glitzernde Schale ein. Ein wunderschöner Anblick. Ich bemerkte auch sofort die Effekte der Zeitretardation. Die Wolken um uns herum wirkten wie eingefroren und der Geschwindigkeitsmesser des Golfs sprang auf eine viel höhere Anzahl, weil die Zeit im Vergleich zur zurückgelegten Strecke viel langsamer gemessen wurde. Verrückt, aber es passierte.
Der Weihnachtsmann informierte mich, dass der Autopilot jetzt an wäre und er sich nicht mehr so konzentrieren müsste. Alles Nötige könne Werner von vorne überwachen, wir könnten ungestört noch ein wenig plauschen. Da fiel mir ein, dass ich den Osterhasen noch etwas fragen wollte. Vielleicht konnte es aber auch der Typ beantworten, der den Schlitten vor mir steuerte.
„Macht ihr den ganzen Zirkus hier an Ostern eigentlich nochmal?“, platzierte ich meine Frage. Als Antwort kam nur lautes Gelächter zurück.
„Ostern haben wir uns nur ausgedacht, um Ozzy zu verarschen“, lachte der Weihnachtsmann mich lauthals an, „Der hatte nämlich ein Ei am Wandern und es morgens immer gesucht und wir haben so getan, als hätten wir es versteckt.“
Weiteres, kreischendes Gelächter erreichte mich, vom Weihnachtsmann und allen 9 Rentieren.
„Das heißt der halbe Erdball feiert Ostern, weil Til Schweiger Wanderhoden hat und weiß es nicht?“, fasste ich zusammen und musste dabei nur leicht grinsen.
Bestätigendes Gelächter kam aus den Lautsprechern. So wie sich der Weihnachtsmann gerade anhörte, würde er gleich vor Lachen ersticken.
„Und-„ der karmesinrote Panther da vorne musste zum Lachen das Sprechen pausieren, „Und irgendwann musste er sich die Teile entfernen lassen, deshalb hat jetzt jeder unserer Schlitten symbolisch ein paar Osterglöckchen untendrunter, um dem zu gedenken.“
Nach einer Weile beruhigte sich der Weihnachtsmann wieder. Ich lachte ausnahmsweise nicht mit, Til Schweiger hat in dieser Geschichte nämlich schon genug Lack bekommen. Der arme.
„Weißt du“, setzte der andere wieder an, „Als ich dich da halbnackt auf dem Balkon habe stehen sehen, bei dem semisuizidalen Versuch, dir die Füße abzufrieren, da dachte ich schon dass du ganz besonders dämlich sein musst. Aber der letzte Tag hat mich eines Besseren belehrt. Die meisten Leute reagieren anders auf meine Existenz und die Wahrheit dahinter. Manche verweigern es strikt, manche liegen mir zu Füßen. Du hast weder noch getan.
Er wollte damit ausdrücken, dass es solche und solche gab. Welche, die alles bedingungslos akzeptierten, was man ihnen vorsetzte oder vorlebte, die sich in das, was sie glauben, aber nicht wirklich wissen, flüchten, weil sie Angst haben vielleicht mal etwas einfach nur nicht zu wissen. Und welche, die alles zerfragten und jede Unstimmigkeit umdrehten, weil sie versuchen, eine bessere, in ihrer Realität logischere Erklärung zu finden und denken, sie hätten das System geknackt – nur um dann die verbleibenden Lücken doch wieder mit ihrem Glauben auffüllen zu müssen, aus Angst trotz der akribischen Hinterfragererei immer noch zugeben zu müssen, dass es eben doch Dinge gibt, die den eigenen Horizont übersteigen.
Die Mitte zu finden ist schwierig, sich weder von der einen noch der anderen Seite verleiten zu lassen. Wer in der Mitte steht bekommt die wenigsten Fragen beantwortet, weil er am ehesten zugibt, dass er etwas nicht genau wissen kann, im besten Fall vielleicht nur Wahrscheinlichkeiten oder Schätzungen zur Verfügung stehen. Der Rest glaubt sich im Notfall die Antwort zurecht. Und deshalb hat es der in der Mitte am schwierigsten, mit denen am Rand umzugehen.
Für jeden ist die Realität nämlich etwas anderes. Das liegt nicht unbedingt an der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung ist das, wie wir Einflüsse von außen aufnehmen. Sie ist durch andere manipulierbar, vor allem durch unsere Eltern im Kindesalter. Der Glaube ist das, was sich in unserem Kopf abspielt und was wir von uns in unsere Realität nach außen projizieren. Klar wird auch das erst mal durch die Eltern vorgegeben, aber irgendwann entscheiden wir uns, ob wir das annehmen wollen oder unser eigenes Ding draus machen. In jedem Fall manipulieren wir unsere Wahrnehmung selbst durch unsere Gedanken. Das ist dabei völlig wertfrei, kann gut oder schlecht oder neutral sein und muss nicht Glaube sein. Ist nur ne Sache von der ich denke, dass man sich ihr bewusst sein sollte.
Heißt das, wir sollen aufhören zu Fragen? Nein. Fragen bringen Antworten, nur nicht alle auf einmal. So entwickeln wir uns. Fragen und deren Antworten sind der Weg zum Fortschritt und um besser zu werden.
Heißt das, wir sollen aufhören zu glauben? Die Antwort hierauf ist komplizierter. Rein spirituell würde ich behaupten ja, aber dazu ist nicht jeder Mensch gemacht und ich kann nicht von mir auf andere schließen. Insgesamt sage ich allerdings Nein. Es ist im Alltag nicht alles penibel genau bestimmbar, das sagt selbst die Heisenbergsche Unschärferelation. Außerdem hat man nicht immer Zeit dazu. Wir Menschen müssen uns also hin und wieder auf das verlassen, was wir glauben. Wenn wir uns nur darauf verlassen, nur Annahmen tätigen, Belege ignorieren oder uns einfacher zugänglichere Belege zurechtdenken, dann verlieren wir die Fähigkeit zur Selbstreflexion, den Bezug zur gemeinsamen Realität aller Menschen und manchmal werden wir durch unser Verhalten für Mitmenschen unangenehm, die nicht genau gleich zu einem selbst denken.
Die großen Fragen des Lebens kann man mit Glauben allerhöchstens für einen selbst klären, aber nicht für alle auf einmal, weil jeder anders denkt. Deshalb versuche ich da ein wenig den anderen Weg zu gehen.
Glaube ich, dass wir wie das Raumschiff Enterprise schneller als das Licht zwischen den Sternen wandern können? Hier und jetzt: klares Nein. Glaube ich, dass wir als Menschheit irgendwann, irgendeinen Weg finden können, um ein ähnliches Resultat zu erzielen? Klares Ja. Seht ihr, ich glaube also auch. Interessanter sprachlicher Kniff: Wenn ihr in diesen Sätzen ‚glauben‘ durch ‚denken‘ ersetzt, dann glauben euch die Leute viel eher. Fragt euch mal warum.
Das war es jedenfalls, worüber der Weihnachtsmann und ich auf dem Flug noch philosophiert hatten. Glaube ich an Weihnachten? Kein Stück. Glaube ich an das, was Weihnachten für viele eigentlich bedeuten soll? Ja, nur eben ein bisschen anders. Die beiden Fragen habe ich auch schon im anderen Weihnachtsspecial ausführlicher beleuchtet.
Was ich auch noch glaube ist, dass man Til Schweiger mit zwei l schreiben müsste, Torsten Sträter nicht ohne h schreiben dürfte und dass die Schreibweise „Maik“ anstatt „Mike“ in der EU strafrechtlich verfolgt werden sollte. Aber das sind mehr so meine ganz persönlichen, literarischen Glaubenssätze.
„Wir sind gleich da“, rief Werner endlich und bewahrte mich damit vor dem Eindösen.
„Ich bereite den Abwurf vor“, bestätigte der Weihnachtsmann. Abwurf? Momomomomoment!
„War mir eine Ehre“, hörte ich seine Stimme nochmal über Funk und sah ihn im Rückspiegel seines Ferrari R9 Turboslittorio mit zwei Fingern salutieren, ehe er einen Hebel an der Decke betätigte. Mit einem Klacken löste sich die Verankerung der Schleppleinen und mein Golf und ich begannen zu stürzen.
Die Front meines Fahrzeugs richtete sich nach unten aus. Der Wind pfiff um das Fahrzeug herum. Alles am Auto vibrierte und klapperte. An den Kotflügeln glaubte ich sogar einen rötlich leuchtenden Hitzekegel aus aufgeriebener Luft, die das fallende Fahrzeug vor sich hin drückte, zu erkennen. Langsam wurde das Grundstück, auf dem ich lebte vor – oder wohl eher unter – mir größer, als würde ich auf Google Maps ranzoomen. Zielgenauigkeit hatte der Weihnachtsbomber auf jeden Fall. Ich sah auf einmal nur noch Garten und fliegende Erde. Dann wurde alles schwarz. Aufschlag.
EPILOG
Ich wurde wach. Es war wirklich bitterarschkalt und zu allem Überfluss wehte auch noch ein wenig der Wind. Ich glaube meine Augen waren zugefroren, also ertastete ich meine Umgebung. Ich spürte ein eisernes Gitter, die Farbe fühlte sich grün an wie die Farbe des Gitters auf meinem Balkon. Ich fand mit meiner anderen Hand einen Plastikstuhl und unfreiwillig mit meinem kleinen Zeh das Standbein des eisernen Beistelltisches. Jap. Den Schmerzen nach zu urteilen, befand ich mich definitiv auf meinem Balkon.
Ich fand auch irgendwann den Griff der Balkontür und ging wieder rein. Ich musste erst mal meine Augenlider mit dem Föhn auftauen. Türschlossenteiser hätte auch funktioniert, aber bei meiner ohnehin miserablen Sehstärke wollte ich das nicht unbedingt riskieren. Als ich wieder sehen konnte, sah ich, dass ich immer noch die Klamotten trug, mit denen ich mich vor zwei Tagen abends auf den Balkon gestellt hatte. Hatte ich wirklich die ganze Zeit seitdem in der Kältestarre draußen verbracht?
Ich blickte auf mein Telefon, um Tag und Uhrzeit zu bestimmen: 25.12.2024, 10:52 Uhr. Und ich sah eine Benachrichtigung von Amazon: „Ihr Paket wurde geliefert. Der Zusteller hat das Paket an folgendem Ort für Sie abgestellt: Garage.“ Die Benachrichtigung hatte einen Zeitstempel, der etwa viereinhalb Stunden zurück lag. Amazon-Zustellung? An einem Feiertag?
Ich rannte also wie der Blitz zwei Etagen runter durch das Treppenhaus, raus vor die Tür, rüber zur Garage. Auf dem Weg von der Haustür bis dahin legte ich mich auch nur zwei- bis dreimal ab, weil ich mich wie immer geweigert hatte, den Schnee zu räumen, dieser nun zu glattem Eis festgetrampelt war und ich natürlich immer Noch barfuß unterwegs war. Ja für was hat man denn 3 Zentimeter Hornhaut drunter? Egal.
Ich erreichte die Garage, die zu meinem Schreck allerdings völlig leer war, bis auf das Paket in der Ecke. Es war etwa 40 Zentimeter in alle Richtungen groß und erstaunlich schwer. Hatte Maffay mir wieder ein paar Barren meines liebsten Saarstahles zu Weihnachten geschickt? Ich wollte doch gar keine Weihnachtsgeschenke! Ich öffnete das Paket noch draußen. Es war kein Saarstahl drin.
Es war ein seltsames Gerät, das ich aber schonmal irgendwo gesehen hatte und es lag ein Zettel dabei. Ich las. „Fluxkompensator passgenau für Golf Plus in der Goal-Edition, Baujahr 2006 mit Adapter für 1,6-Liter Motoren und automatischem Bratensoßenzusatzstoffflussregulierer – einfach einstecken und Losfahren“ stand darauf. Darunter ein handschriftliches Autogramm von Ryan Reynolds, das dann durchgestrichen und durch eines von Michael Schumacher ersetzt worden war, das dann wiederum durchgestrichen und durch einen blutigen Abdruck eines Rentierhufes ersetzt worden war.
Ich freute mich tierisch über das Geschenk. Ich hatte sogar ein richtig breites Grinsen im Gesicht. So breit, dass ich es gespürt habe und es mich an den Ohrläppchen kitzelte. Selbst die mit der Nase an der Scheibe festgefrorene Inge von Gegenüber gab mir einen Daumen hoch. Dann fiel mir ein, dass da nix in der Garage stand, wo ich meinen höchsteigenen Fluxkompensator hätte einbauen können. Algengrütze. Wo zum Weihnachtsmann war mein Golf?
Ich kehrte mit dem Paket unter dem Arm wieder ins Haus zurück. Auf dem Weg nach oben wurde ich allerdings von meiner wiedergekehrten Nachbarin vor ihrer Wohnungstür abgepasst. Sie blickte grimmig drein mit ihren Weihnachtscrocs, den Kniestrümpfen und der kurzen Hose in der Farbe eines Kartoffelsackes. No judgement, just saying.
„Fahr deinen verfickten Wagen aus meinem Garten!“, blaffte sie mich an und zeigte auf ihre offene Wohnungstür, „Ich will gar nicht erst wissen, wie du ihn überhaupt von der Straße dahin bekommen hast oder warum du Donuts gedreht und dabei mein Orchideenbeet umgegraben hast, schaff ihn einfach nur da weg und wir bekommen zumindest in diesem Jahr kein Problem mehr. Sie regte sich mehr auf als der Vermieter, als er den Kanalligator damals gefunden hatte, bevor der ausgezogen war. Aber das ist auch ne andere Story.
„Naja, ich habe eine Schneerampe gebaut und bin über die Garage in den Garten gesprungen“, versuchte ich mir eine Erklärung auszudenken.
„SOFORT“, schrie Frau Nachbarin mir ins Gesicht. Mit kurzen, schnellen Schritten trappelte ich flink durch ihre Wohnung in den Garten. Da stand er, mein Golf. Blank poliert und unversehrt auf allen Vieren und schräg mit eingedrehten Rädern, als würde ich ihn frisch vom Händler abholen, inmitten der aufgewühlten Hügel aus Dreck, Gras und Pflanzenmaterial. Mit Tränen in den Augen jagte ich hinaus und fiel meinem besten Stück (DEM WAGEN!) mit offenen Armen auf die Motorhaube. Das war echte Liebe.
„Hö?“, hörte ich hinter mir die Verwunderung meiner Nachbarin, „Der lag doch eben noch auf dem Dach und sah aus wie ein Totalschaden. Wie geht das denn?“
„Der einzige Weg, die Grenzen des Möglichen zu finden, ist, ein klein wenig über diese hinaus in das Unmögliche vorzustoßen“, sagte ich, „Arthur C. Clarke.“
Griesgrämige Weihnachten wünsche ich. Küsschen.


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