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Gefahrenzone Gasgrill

  • Autorenbild: The Machine
    The Machine
  • 28. März 2021
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 22. Sept. 2022


Ostern. Während bei -12° C im Schatten die letzte Schneeflocke fällt, baut der Saarländer das Gerüst seines Schwenkers auf. Schwenker, ein multilateraler Begriff: Es bezeichnet den Grill, den Grillenden (auch Grillmeister oder Schwenkmeister genannt), sowie das in Zwiebelmarinade eingelegte Stück Fleisch, das auf dem Rost brutzelt.

Der Saarländer trägt beim Schwenken seine Nationaltracht: Bätschkapp, eine Grillschürze mit gehässigem Spruch, im linken Holster eine Stubbi Karlsberg Urpils und im rechten Holster eine langgabelige Grillzange des Kalibers 50cm. Dazu einen Flaschenöffner in der Brusttasche.

Ein Traum, nicht wahr? Zumindest wäre es das, wenn ich zuhause den Platz für einen Schwenker hätte. Wie üblich versuchte ich seit jeher den saarländischen Nationalsport des Grillens in den Garten meiner Eltern zu verlagern. Obwohl das Errichten eines kulturell annehmbaren Schwenkplatzes nichts weiter verlangte, als einen einzigen Quadratmeter Rasen abzufackeln, wollten sich meine Eltern partout nicht dazu bereit erklären, eine Feuerstelle einzurichten.

Bis ins Mark von der Kulturfeindschaft meiner Eltern erschüttert, erklärte ich mich bereit, stattdessen an einem Gasgrill zu grillen – besser als gar nicht. Das Gute daran war, dass ein Gasgrill deutlich mehr explosive Möglichkeiten bereithielt.

Seitdem bereitete ich mein Grillgut also mithilfe der Verbrennung von Propangas und Augenbrauenhaaren zu. Ich erinnere mich noch an den Moment, an dem ich das erste Mal den Grill betätigte, die 3 Monate Krankenhaus werde ich nie wieder vergessen. Meine Katze hat heute noch eine kahle Stelle.

Vor 5 Jahren gönnte ich mir dann die Spitze der saarländischen Industrie: Den Grillgutvergaser Oxidant 3000. War das ein Teil: 3 Hochleistungs-Dieselbrenner mit Nitro-Aggregat für beschleunigtes Garen, 4 Rost-Etagen und 2 Ausklappbare Arbeitsflächen, ein vollautomatischer Flaschenöffner, ein beheizter Abfalleimer für Grillgemüse sowie ein Kühlfach für Bierflaschen. Insgesamt ausgestattet mit 7 Leistungsstufen: Roh, Medium, Durch, Braun, Schwarz, Weiß und Nicht mehr genießbar.


Umso härter traf mich der Schlag, als ich in diesem Frühjahr einsehen musste, dass mein Grillgutvergaser lebensgefährlich verletzt war. Meine Eltern hatten ihre Fürsorgepflicht vernachlässigt und den armen Grill draußen überwintern lassen. In der Folge war die Brennerabdeckung von oben bis unten durchgerostet und alle anderen lebenswichtigen Organe waren von Schimmel bedeckt.

Unwissend wie sie war fragte meine Mutter, ob ich denn nicht ohne Brennerabdeckung grillen könnte. Mit einem ihre Ernsthaftigkeit infrage stellenden Blick antwortete ich: „Nicht, wenn ich auf mehr als 5% meiner Körperoberfläche noch Haut behalten will.“

Ich witterte sofort meine Chance: Der Grillgutvergaser hatte zwar die Power eines Raketentriebwerks, war allerdings auch schon ein paar Jahre alt. Ich könnte doch, wenn der erneute Vorschlag für eine Feuerstelle abgelehnt werden sollte, wenigstens ein neues Gasgrill-Modell herausschlagen.

Ich hätte eigentlich damit rechnen sollen, dass Familie Sparheinz Becker wieder zuschlägt, denn alles, was ich erreichte, war die Bestellung von nicht für den Grillgutvergaser ausgelegten Ersatzteilen, deren Qualität von Kinderspielzeug überboten werden konnte.

Aus dem Kühlergrill eines ausgemusterten Fiat 500 bastelte meine Mutter den neuen Grillrost, wenigstens ist das Ding jetzt zu was gut. Der vollautomatische Flaschenöffner wurde durch einen elektrischen Dosenöffner ersetzt – mit genug Willenskraft würde er auch denselben Zweck erfüllen. Der einzige kaputte Brenner wurde durch eine alte Infrarotlampe aus dem Nachlass meiner Großmutter ersetzt. Lediglich die Brennerabdeckungen wurden mit originalen Ersatzteilen gewürdigt (zwar Originalteile für ein anderes Modell, aber die waren halt billiger).


Dann kam der Tag X. Das erste Ostern seit 8 Jahren, zu dem es im Saarland nicht schneien sollte. Eine perfekte Gelegenheit. Skeptisch betrachtete ich den notdürftig mit Panzerband und Spachtelmasse zusammengehaltenen Grillgutvergaser. Ich hatte nach der Eskapade mit dem Kärcher leider keine gute Verhandlungsposition mehr, also nahm ich die Herausforderung an.

Ich setzte meine Ohrschützer auf, drehte den Zündschlüssel, legte den ersten Gang ein und betätigte dann die Zündung. Mit dem Lärm des Triebwerks einer wartungsbedürftigen 747 lief der Grillgutvergaser an und blies allen benachbarten Bäumen das Laub aus der Krone. Ich klappte den Deckel herunter und ließ die Maschine im Garten zurück, sodass sie in aller Ruhe die Betriebstemperatur erreichen konnte.


Seelenruhig sortierte ich gerade das Grillgut nach Zubereitungszeit und kategorisierte nach „Fleisch“, „Wurst“, „Spieß“ und „Grillgemüse/Abfall“, als meine Mutter mich von der Seite anhauchte, ob ich denn die Schutzfolien von den neuen Brennerabdeckungen genommen hätte.

Verdutzt schüttelte ich den Kopf. WARUM UM ALLES IN DER WELT KLEBT EIN HERSTELLER EINE DURCHSICHTIGE SCHUTZFOLIE AUF EINE BRENNERABDECKUNG AUS EDELSTAHL, die A) niemals rosten und B) nach dem ersten Grilldurchgang gänzlich in pechschwarzen Ruß eingehüllt wird?

Ein Blick nach draußen bestätigte mir das vermutete Unheil: Meterhohe silber-blaue Stichflammen schossen aus allen Ritzen des Grillgutvergasers. Entweder habe ich gerade die hausmännische Kernfusion entdeckt, oder der Grillgutvergaser vaporisierte gerade ein paar Schutzfolien aus Kunststoff.

Durch das weggeschmolzene Glas der Terrassentüren hindurch führte ich mittels meines Hochdruckreinigers eine Notlöschung aus, dabei löste der vom Grillgutvergaser abgelenkte Wasserstrahl den Balkon des Nachbarn aus der Verankerung, welcher in seine einzelnen Latten zerbarst, die wiederum die bis dato glückliche Elsterfamilie in der Birke daneben in einem Satz erschlugen.

Eine Weile lang schoben meine Mutter und ich, wahrscheinlich völlig zugedröhnt von den Plastikdämpfen, uns gegenseitig die Schuld zu. Dabei hätte ich eine solche Situation mit dem Einrichten einer ordnungsgemäßen Feuerstelle von Vorne herein vermieden.


Unter ständigem Echauffieren über den Ärger der zusätzlichen Arbeit, versuchten wir mit größtmöglichen Bemühungen die in den Edelstahl eingebrannte Folie von den Brennerabdeckungen zu lösen.

Während ich mit meinem Kärcher Atom für Atom präzise aus dem molekularen Gleichgewicht brachte und das Polymer so von der metallenen Legierung trennte, versuchte sich meine Mutter daran, den Plastik mit ihrer heißgeliebten Wechselkopf-Zahnbürste und etwas Seifenlauge zu lösen.

Fachmännisch begutachtete mein Vater uns bei unserer Arbeit, als hätte er auch nur die entfernteste Ahnung davon, was wir gerade taten – Der Vortrag über die Ersatzkosten für die Glasscheiben unserer Terrassentür seinerseits blieb uns aber nicht erspart. Allerdings gebe ich ihm in einer Sache recht: zwei mal im Monat ist zu oft.

Stunde um Stunde verging, ehe auch nur ein kleiner Flecken des Edelstahls durch die verschmorte Schicht aus Polyvinylchlorid oder was auch immer durchschimmerte. Erstaunlicherweise stellte sich die Zahnbürstenmethode als effizienter und vor allem benzinsparender heraus, als die Kärchermethode.

Sei es drum, am frühen Nachmittag glänzten die Brennerabdeckungen wie neu. Naja, sie waren ja auch neu, aber VERDAMMT NOCH MAL IN PLASTIKFOLIE EINGEPACKT.

Ich veröffentlichte noch schnell eine negative Rezension auf der Herstellerwebsite, weil ja keine Gebrauchsanweisung dabei lag, während meine Mutter die Brennerabdeckungen montierte.


„Montierte“. Drauf gelegt hat sie die Dinger bloß, denn sobald ich die Brenner zündete schepperten mir drei Metallbleche durchs Gesicht und nahmen sich einen meiner Schneidezähne als Andenken mit. Außerdem hatte ich nur noch auf der hinteren Hälfte meines Kopfes Haare. Wenn man nicht alles selber macht!

Ich sammelte die Brennerabdeckungen aus den Vorgärten der Nachbarschaft ein und wollte sie wieder in ihren Halterungen im Grillgutvergaser fixieren, als mir doch just auffiel, dass die Dinger viel zu groß waren. Das kommt davon, wenn Familie Sparheinz lieber das Billigmodell bestellt. Für die Reparaturkosten hätte man auch gleich zum Grillgutvergaser Modell X-5200 „Bombardier“ Orbital aufrüsten können.

Ich nutzte unter der Pein des Hungers meine Kenntnis des unkatholischen Glaubens, um mit einer ganzen Rolle feuerfestem Panzerband, die jeder fromme Atheist jederzeit zur Hand haben sollte, die Abdeckungen an den Brennern zu befestigen.


Ich stand nun schon eine halbe Stunde am Grill und die Würstchen waren immer noch roh. Irgendwas stimmte immer noch nicht. Die Brenner waren definitiv an, denn ich konnte meine Armhaare nicht mehr spüren. Vorsichtig warf ich einen Blick durch den Rost. Was ich da entdeckte, war definitiv die Spitze. Die Brennerabdeckungen blockierten fast vollständig die gesamte Brennerfläche – und damit auch die Hitze. Nur durch nadelöhrgroße Löcher drang eine kleine Rauchfahne heraus. Ich mochte mir zu diesem Zeitpunkt nicht ausmalen, dass es bei der ganzen angestauten Hitze im Kellergeschoss des Grillgutvergasers aussehen musste, wie in einer Tropfsteinhöhle.

Diese elenden Brennerabdeckungen vermochten es, die Leistung eines für Interstellarreisen konzipierten Impulstriebwerkes auf die einer Energiesparlampe zu drosseln. Erzürnt zerbrach ich meine vergoldete Titan-Grillzange. Ich würde diesem besseren Wellblech den Kampf ansagen.

Mit der furchterregendsten Lache und dem breitesten Grinsen, das man sich nur irgendwie vorstellen könnte, drehte ich die Brennerleistung hoch auf „Nicht mehr genießbar". Die Brennerflamme wurde so heiß, dass mir die Schuhsohlen unter den Füßen wegschmolzen. Ich war ein wahrer Diabetiker. Ich meine Diaboliker.


Ich bemerkte im Augenwinkel meine Mutter, die mir einen vorwurfsvollen Blick zukommen ließ. Recht hatte sie, denn eigentlich bin ich der Grillbändiger, nicht anders herum.

„Ist schon was gut?“, fragte sie, während ich einfach nur enttäuscht den Kopf hängen ließ. Gut die Hälfte meiner Körperbehaarung fehlte, allen vorneweg die Augenbrauen, meine Nase war schwarz vor Ruß, ich hielt eine abgebrochene Grillzange in der Hand und stand in einer Pfütze aus geschmolzenen Schuhsohlen.

„Ich gehe mich frisch machen“, murmelte ich, drückte meiner Mutter die Überreste der Grillzange in die Hand und überließ meiner Katze dir Aufsicht über das in Flammen stehende Grillgut. Ein Fehler, den ich noch für lange Zeit bereuen sollte.


Vielleicht 20 Minuten später traute ich mich wieder aus dem Badezimmer. Ich hatte mit Heißkleber und alten Katzenhaaren meine Frisur restauriert, die Augenbrauen hatte ich aus anderen, nicht sichtbaren Körperregionen transplantiert. Mit einem Kratzen im Schritt trat ich wieder in den Garten, verlor bei dem Anblick, der sich mir Bot aber sogleich das Bewusstsein und schlug auf die steinerne Terrasse auf.

Lieber Herr im Himmel, den ich liebend gerne ablösen werde, sobald er mich zu sich rufe, sag mir, dass das eine Halluzination war: Meine Mutter berührte das nicht gleichmäßig und höchst unprofessionell angebrannte Grillgut mit einer Nudelzange. EINER NUDELZANGE! Und mein Vater, ein Kriminalpolizist wohl bemerkt, sah diesem Verbrechen seelenruhig zu, als wäre es nichts. Wie konnte man diese Folter einfach so über sich ergehen lassen? Dann fiel es mir wieder ein, mein Vater kochte ja auch alles mit Ketchup, selbst Suppe! Ein gleichwertiges Verbrechen.


Am Abend war alles vorbei. Ich hatte den Rest des Tages völlig leblos in einem Krankenbett verbracht und man musste mir ein paar Flaschen Benediktiner intravenös verabreichen, bevor ich wieder zu mir kam. Der Grillgutvergaser hatte sich inzwischen auf halben Weg zum Erdkern durch geschmolzen, meine Mutter hatte den Krater im Garten einfach mit einer Regenplane abgedeckt. Mein Vater saß seit Stunden auf dem Klo fest, weil er entgegen zahlreicher Warnungen immer wieder die Chili-Spieße aß. Und im Garten stand eine einsame Propangasflasche, deren Schraubverschluss mit einem Vorschlaghammer aufgenagelt wurde, weil ich scheinbar der einzige in der Familie bin, der weiß, das man Schraubverschlüsse bei Gasflaschen entgegengesetzt drehen muss.


 
 
 

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