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Mädchen für Alles

  • Autorenbild: The Machine
    The Machine
  • 9. Juni 2021
  • 9 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 21. Jan. 2022


Wieder einmal ein Freitag. Ich würde an dieser Stelle ja gerne eine gemeine Floskel einfügen, wie „Ich war über das herannahende Wochenende höchst erfreut“, wie ein normaler Mensch. Wochenende bedeutete in der Tat Freizeit für mich. Freizeit, also freie Zeit, die meine nähere Verwandtschaft mir mit interfamiliären Verpflichtungen und unangenehmen Aufgaben zukleistern konnte.

Es war schon 13 Uhr durch, ich wunderte mich schon, dass ich noch nicht gerufen wurde, da passierte es dann endlich. Das Aufheulen einer Junkers Ju-87 Sturzkampfbombersirene, das ich der Rufnummer meiner Mutter als Klingelton zugewiesen hatte, entfernte restlos jede Hoffnung auf ein ruhiges Wochenende aus den verbliebenen Fetzen meiner Seele, oder wie man das auch immer nennen wollte, was ich stattdessen habe.


Mürrisch hob ich ab, hatte aber vorher noch eine Wette abgeschlossen, um was es diesmal ging. Mutter sagte, ich solle doch bitte mal vorbei kommen, um die Sonnenschirme vom Dachboden zu holen, denn demnächst würde es ja sonnig und heiß werden (es war übrigens Dezember). Schon wieder schuldete ich mir selbst also 5 Euro, ich hatte nämlich damit gerechnet, dass es wieder darum ging, einen Ersatz für die Wechselkopfzahnbürste meiner Mutter zu bestellen, weil sie 1976 versehentlich einen lebenslangen Vorrat an Wechselköpfen gekauft hatte. Aber ohne Stiele!

Ich kramte die Checkliste mit Gegenmaßnahmen heraus und zückte meinen Kugelschreiber. Erster Punkt: Verlagerung der Verantwortlichkeit. Warum machst du nicht selbst, Mutter?

„Ich brauche einen starken Mann, der die schweren Schirme hebt“, verteidigte sich meine klapprige, alte, nicht zu vergessen: faule Mutter. Gutes Argument, wenn auch ein wenig geschleimt.

Warum kann denn mein Vater die Sonnenschirme nicht vom Dachboden holen?

„Dein Vater ist auf der Arbeit!“, erinnerte Mutter mich. Check.

Punkt 2a: Kurzfristige Zeitverschiebung. Dann soll er das doch nach der Arbeit machen.

„Aber nach der Arbeit ist Vater doch immer so müde und quengelig“, wehrte Mutter ab. Check.

Punkt 2b: Mittelfristige Zeitverschiebung. Dann soll er es morgen machen.

„Morgen geht er doch den ganzen Tag radeln“, redete Mutter sich wieder heraus. Check.

Punkt 3, mit der geringsten Erfolgswahrscheinlichkeit: Plausibilitätsargumente. Es war Winter und der Wetterbericht vom SR war das letzte Mal präzise gewesen, als sie 1917 französischen Granatenhagel vorausgesagt hatten, was an sich gar nicht so schwer war.

Meine Mutter reagierte mit der Mitleidsnummer und versuchte mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Check.


Um das Gejammere endlich zu beenden, versprach ich Mutter, vorbei zu kommen und die Schirme vom Dachboden zu holen – als Gegenleistung wollte ich das Wochenende über in Ruhe gelassen werden.

Lirum, larum, Löffelstiel – Als ich den Karton, gefüllt mit sechs bleischweren Sonnenschirmen gerade die Leiter vom Dachboden herab tragen wollte, stellte sich mir meine Mutter in den Weg.

„Lass mich dir helfen!“, rief sie und zog einmal kräftig am Karton. Die Verschlussklappe riss ab und nacheinander schlugen 6 stählerne Sonnenschirmträger meiner Mutter auf den Schädel, bevor auch noch der Karton auf sie herab rieselte. Seelenruhig tapste ich um meine unter den Schirmen begrabene Mutter herum und verschloss die Dachbodenluke – an die ich als einziger ohne Weiteres heranreichen konnte.

„Auftrag erfüllt“, berichtete ich nüchtern, „Die Sonnenschirme sind vom Speicher runter.“

Das letzte, was ich vorm Verlassen des Hauses sah, war der nach oben ausgestreckte Daumen meiner Mutter, die ihren Arm gerade so unter den Schirmen heraus strecken konnte.


Ich war endlich wieder zuhause und fuhr gerade den Rechner für ein paar entspannende Stunden hinter dem Simulatorlenkrad hoch, als ich wieder das Geräusch eines herabstürzenden Stukas vernahm.

Was war diesmal los? Mein Vater vermisste ein paar Klemmstifte für die Heizung und wollte seit Tagen keine Ruhe geben, weshalb meine Mutter mir einen Link zu einem Online-Angebot geschickt hatte. Inwiefern das mein Problem war? Ich hatte als alleinerziehender Sohn versagt und musste nun für die mangelnde Selbstständigkeit meiner Eltern büßen.

„Bestell doch selber“, wimmelte ich sie mit einer Textnachricht ab, in dem Wissen, dass meine Eltern trotz offensichtlicher Frühdemenz sehr wohl dazu in der Lage waren, eine Online-Bestellung zu tätigen.

„Du hast doch Amazon Prime! Du hast keine Versandkosten!“, textete meine Mutter zurück. Ich sparte mir an der Stelle die Erklärung, dass Amazon garantiert nicht die Versandkosten für eine Bestellung auf Ebay übernehmen würde und fragte einfach nur: „Wie viele?“

Zwanzig sollte ich bestellen, zwanzig tippte ich in das Feld mit der Stückzahl. Ich drückte auf „Kaufen & Bezahlen“ und leitete meiner Mutter die Rechnung weiter. Schon ein üppiger Preis, 236€ für zwanzig Plastikpfropfen von der Größe eines Daumennagels.

Ich klemmte gerade das Lenkrad an den Schreibtisch, als mich wieder ein Stuka erschreckte – ich brauchte ganz dringend einen neuen Klingelton.

„Du Vollidiot! Zwanzig Stück, nicht zwanzig Packungen!“, lautete die Nachricht meiner Mutter, die auf dem Handydisplay angezeigt wurde.

Packungen? Da stand nichts von Packungen! Warum heißt es dann nicht gleich „Bestell zwei Packungen“ anstatt „Bestell 20 Stück“?! Ich rief noch einmal die Shopseite auf und tatsächlich, im hintersten Winkel der Produktbeschreibung stand geschrieben, dass es sich tatsächlich um 10er Packungen handelte – Direkt neben dem Hinweis „Rückerstattung ausgeschlossen.“

„Selber Schuld“, sendete ich zurück, als im selben Moment die Telefonnummer meines Vaters auf dem Bildschirm erschien – das fehlte noch.


Ich hob ab. Noch vor der Begrüßung informierte mich mein Vater, dass er dringend einen polizeilichen Bericht ausdrucken müsse, aber er nicht genau wisse, wie der Drucker funktioniert. Da eine Ferndiagnose von Vorne herein nicht für mich infrage kam, bot ich ihm an, den Bericht bei mir auszudrucken, wenn er ihn den rüber schicken würde – Die Betonung lag vorerst auf wenn, denn es würde sich zweifelsohne als eine Herausforderung präsentieren, meinem Vater die folgenden drei Dinge klar zu machen:

  1. Mit einem Wählscheibentelefon kann man nur bei den ausgefallensten Modellen eine SMS versenden, geschweige denn E-Mails mit einem polizeilichen Bericht als Anhang.

  2. Den Unterschied zwischen einem Drucker, einem Faxgerät und einer Schreibmaschine.

  3. Dass ich gerade meine wertvolle Freizeit opferte.

Nach Blut, Schweiß und anderthalb Stunden des Erklärens erreichte mich endlich der Polizeibericht auf einem USB-Stick, der an den Fuß einer Brieftaube gebunden war, die mit voller Reisegeschwindigkeit gegen mein Balkonfenster gebrettert war. Wo hatte die denn ihren Pilotenschein her?

Ich öffnete die unsortierten Dateien auf dem Stick und reihte den Druckauftrag in die Warteschlange ein. 486 Seiten?! Auf halbem Weg war die schwarze Tinte alle, also druckte ich den Rest in pink.


Es war bereits früher Vorabend, als ich gerade die Rennsimulation starten wollte, als ich die Vibration meines Handys vernahm. In diesem einen Moment wünschte ich mir wirklich, dass ausnahmsweise mal ein Stuka auf mich herab raste. Von der Vibration angetrieben rutschte mein Telefon von der Schreibtischkante und segelte abwärts, genau auf meinen kleinen Zeh.

Sobald ich mich von meinen Schmerzen erholt hatte, startete ich den Rückruf. Was konnte es denn noch geben, was schon wieder meiner Aufmerksamkeit bedürfe?

Mutter meldete sich wieder. Sie klang ganz erschrocken, wie sie mir beschrieb, dass mein Vater sich nicht mehr traute, von der Deckenbeleuchtung herabzusteigen, weil er im Fell meiner darunter sitzenden Katze womöglich eine Zecke ausfindig gemacht hatte.

Warum musste ich jetzt dafür herkommen? Warum konnten meine Eltern denn nicht EIN MAL etwas selber machen?

„Ja ist doch deine Katze!“, heißt es an dieser Stelle immer wieder. Zugegeben, ja, es ist meine Katze und sie wohnt noch bei meinen Eltern, aber einfach nur, weil ich in meiner Wohnung im zweiten Stock keine Möglichkeit habe, Katze nach draußen zu lassen. Ganz zu schweigen davon, dass ich meine kleine Mieze nicht von ihrem Zuhause entreißen wollte.

Und wieder war ich auf dem Weg zu meinen Eltern – wenn ich wenigstens Kilometergeld bekäme.


Ich trat ins Wohnzimmer, hier herrschte pures Chaos. Mein Vater schaukelte an der Deckenlampe hin und her, während meine kleine Schwester die Katze um den darunter stehenden Esstisch jagte. Meine Mutter stand im Laborkittel und mit Schutzmaske daneben und zog sich gerade lange Gummihandschuhe an – solche von der Sorte, wie sie die Tierärzte immer Anziehen, bevor sie einer Kuh die Scheiße aus dem Arschloch ziehen. Sollte das hier eine Zeckenentfernung oder eine Darmspiegelung werden?

Ich stoppte meine Schwester ab und nahm meine Katze auf den Arm. Ich musste zuerst einmal die genaue Stelle ertasten, wo die angebliche Zecke saß. Ich spürte einen Knubbel, allerdings befand sich dort nicht mehr als ein verkrusteter Mückenstich. Und dafür die Aufregung?

„Wenn du ja gerade da bist, kannst du deiner Katze auch schnell noch eine Wurmkurtablette verabreichen“, meinte meine Mutter. Natürlich, irgendwas musste ja noch kommen.

Wer schon einmal versucht hat, eine Katze dazu zu bringen, freiwillig eine Münzgroße Tablette zu schlucken, der kennt die Überlebenschancen (auf solche Tricks wie „die Tablette in Leberwurst stecken“ fiel Mieze leider nicht rein). Ich erklärte meiner Mutter, dass zum Tablettenverabreichen immer zwei Mann gehörten – einer hielt das Vieh fest und der andere... naja... stopfte halt. Während meine Mutter die Tablette aus dem Schrank holte und mein Vater endlich von der Deckenlampe herab kletterte, packte ich meine Katze mit einem Griff, der es ihr unmöglich Machte, sich zu wehren oder frei zu strampeln.

Meine Mutter versagte allerdings auf voller Linie, so einer simplen Aufgabe nachzugehen, wie einfach die Tablette in das Maul meiner Katze zu legen. Jedes mal spuckte meine Katze die Tablette in einem höheren Bogen aus. Ich glaubte sogar, dass sie dabei grinste.

Irgendwann resignierte Mutter. Die Frage meines Vaters ignorierend, ob man die Tabletten auch als Zäpfchen einsetzen könnte, bot ich Mutter an, die Rollen zu tauschen. Nur anstatt die Katze im Paralysegriff zu packen, nahm meine Mutter die kleine Mieze einfach so in die Hand. Angekündigt mit einem dem hochtourenden Motor eines Sportwagens ähnlichen Fauchen, fuchtelte meine Katze mit allen Pfoten und vor allem ausgefahrenen Krallen in der Gegend rum. Instinktiv hielt meine Mutter das wilde Biest von sich weg – in meine Richtung. Kurzum verlor ich an diesem Tag mehr Blut als bei einer gewöhnlichen Blutspende. Auf einem Auge blind und mit einem Nasenflügel weniger wollte ich aber diese Farce doch endlich hinter mich bringen. Mutter hatte die Katze inzwischen ruhig gestellt, also konnte ich ihr die Tablette auch ins Maul legen. Nun musste ich ihr die Schnauze nur noch so lange zu halten, bis die Tablette geschluckt war, das war schon der ganze Trick.

Widerwillig schluckte meine Katze die Tablette und wurde auch endlich wieder losgelassen. Betrübt wollte ich einfach nur meine vielen Schnittwunden desinfizieren und verarzten, als mein Vater die vielen Katzenhaare entdeckte, die Fräulein Miau während ihrer Folter von sich abgegeben hatte. „Ich habe doch erst hier geputzt!“, echauffierte er sich.

Ich möchte wirklich nicht ins Detail gehen, wie viele Arten von Verschmutzung abseits von Katzenhaaren in der Bude zu finden waren, jedenfalls war hier alles andere als geputzt. Mein Vater hatte nur das wiederkehrende Verlangen zu den unmenschlichsten Uhrzeiten, also in etwa 4 Uhr morgens, den Besen zu schwingen. Ich kann nicht genau sagen, ob es bloß an seiner chronischen Schlaflosigkeit lag oder ob er es nur um diese Uhrzeit machte, dass niemand ihn beobachten konnte, allerdings hielt es regelmäßig als Ausrede dafür her, dass Vater sich vor anderen Hausarbeiten drücken konnte.


Plötzlich hörte ich ein lautes Hicksen. Wenn Mutter nicht schon wieder in einem Zug eine ganze Flasche Eierlikör geleert hatte, dann handelte es sich hierbei um einen Katzen-Countdown. Es blieben also noch genau neun Hickser, bis Katze den Teppich mit einer unverdauten Wurmkurtablette und den Überresten der morgendlichen Dose Katzenfutter vollkotzte.

8. Im Vollsprint riss ich meine hicksende Katze vom Boden und positionierte sie wie ein Football unter meinem Arm. 7. Ich bahnte mir meinen Weg durch das Wohnzimmer. 6. Ich verpasste Mutter einen Kinnhaken, um sie aus dem Weg zu schaffen. 5. Die Stehlampe stand mir gegenüber. Ich täuschte links an und schaffte mich dann in einer Drehbewegung rechts vorbei. 4. Vater blockierte den Weg zum Esszimmer. Ich ließ mich schief auf meinen Oberschenkel fallen und rutschte ihm zwischen den Beinen hindurch. 3. Ich erhob mich vom Boden und sprintete weiter durchs Esszimmer – Richtung Terrassentür. 2. Meine Schwester saß vor mir auf dem Boden. Ich tippte zweimal auf, dann machte ich einen Salto über sie hinweg. 1. Ich öffnete die Terrassentür und wollte Mieze gerade absetzen, als ich über die Türschwelle stolperte und die Katze in parabolischer Flugbahn genau in Richtung der frisch aufgehängten Wäsche flog. 0.

Noch in der Luft, sich wie eine Ballerina um die Längsachse drehend, würgte meine Katze alles hoch, was sie in den letzten zwölf Stunden gegessen hatte. Spiralförmig flog die grünbraune Kotze durch die Luft und wenn es nicht so unangenehm gestunken hätte, wäre es vielleicht sogar ganz schön anzusehen gewesen.

Auf der Terrasse selbst landeten ein paar Fellbälle, nicht all zu tragisch. Auf der Rasenfläche landete der halb verdaute, aber immer noch lebendige Rottweiler des Nachbarn. Im Gemüsebeet steckte der rote Fiat 500, der normalerweise ein Stück die Straße herunter parkte. Heutzutage werden die Dinger aber auch kompakt gebaut.

Schließlich landete meine Katze auf allen Vieren auf der, Himmel sei Dank, unversehrten Frischwäsche. Halt, nein, zu früh gefreut! Ein letztes Häppchen Erbrochenes verließ das Maul meiner Katze und ergoss sich über die weiße Wäsche. Es war die Tablette in der letzten, unverdauten Mahlzeit schwimmend, geziert von dem Blatt Petersilie, das mein Vater meiner Katze immer zusätzlich zum Fressen hinlegte, weil er aus der Fernsehwerbung zu wissen glaubte, dass dies für die Katze eine qualitative Aufbereitung der Nahrung bedeutete. Aber mal im Ernst, wenn unsere Katze ohne weiteres einen Fiat 500 verspeisen kann, warum auch nicht Katzenfutter ohne Petersilie (Im Nachhinein sollte sich herausstellen, dass im Kofferraum des Fiats eine Palette mit Kräuterpflanzen geladen war).

Stumm blickte ich meiner Katze in die Augen. Ein geeignetes Chaos hatte sie da verursacht, das ich gewiss nicht beseitigen würde. Aus einem mir völlig unerklärlichen Grund, erzürnte mein Blick die Katze allerdings, weshalb sie sich mit einem hochfrequenten Katzenschrei und ausgefahrenen Krallen auf mich stürzte.


Ich hätte an diesem Tag nicht meine gute Hose tragen sollen.

 
 
 

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